Tagebuch des Praios Geweihten Baldus Sonnenlob

Nachdem wir den Adelshof verlassen hatten, kamen wir wieder auf der nebeldurchzogenen Ebene an. Bevor wir etwas anderes tun konnten, erschienen wieder schattenhafte Gestalten aus dem Nebel.
Eine Menge Gestalten. Wir zogen die Waffen, dann waren sie schon über uns. Keine Zeit für Strategie. Keine Zeit für Taktik. Jeder von uns stand zwei Gegnern gegenüber. Keine Chance sich Rücken an Rücken zu stellen oder eine Formation zu bilden. Die Art von Kampf, von der jeder Krieger hofft, dass er niemals hineingerät. Denn egal wie gut man ist, in einem solchen Durcheinander sterben Menschen. Das einzige was wir tun konnten, war die nicht waffenfähigen Namensteile hinter uns zu schieben und einen Kreis um sie zu bilden.

Mich fielen eine menschliche Schattengestalt mit Stierschädel und ein Schattenoger mit einem Arm aus Tentakeln an. Ich konzentrierte mich zuerst auf den Oger, denn er erschien mir der gefährlichere Gegner zu sein.

Sein erster Hieb peitschte mit unglaublicher Präzision auf mich zu und nur die schützende Hand Praios ermöglichte mir, den Schild rechtzeitig in Stellung zu bringen.

Magister Tankred baute mit einer schlichten Geste seines Stabes einen leuchtenden Schild auf, der einen Schattendämon aufhielt. Eine schattenhafte Chimäre glitt jedoch einfach hindurch.

Unsere junge Maga Yolanda stand ebenfalls zwei Schatten gegenüber und hielt sich mit einer überraschend ausgereiften Stabkampftechnik.

Ich selbst hielt den Schild über mir um einen Hagel von Schlägen abzuwehren, der wie Regen auf mich hernieder trommelte. Währenddessen hieb ich mit Sonnensturm auf die Beine des Ogers ein.

Der Minotaurus wirbelte im Kreis wie ein Derwisch. Eine völlig irrsinnige Kampftechnik, aber unerwartet effektiv. Einige Treffer kamen durch meine Verteidigung.

Emmeran bezwang seinen ersten Gegner, dann fiel der Oger.

Der magische Schild von Tankred fiel und er begann mit Flammenlanzen um sich zu feuern.

Yolande hatte schon mehrere Treffer abbekommen.

Mein zweiter Gegner verschwand flackernd unter den Hieben der Geweihten Stachelkugeln. Wem sollte ich nun helfen? Yolande, die unter dem nächsten Treffer fallen konnte? Das Bedürfnis dort zu helfen war groß, doch die Lehren der Taktik geboten etwas anderes.

Ich fiel den letzten Gegner von Emmeran an, der unter wenigen Hieben fiel. Dann stürmten wir beide los um unseren Gefährten zur Hilfe zu eilen. Emmeran konnte sich kaum auf den Beinen halten, aber eine Geste von Tankred und ein lautes: „Reversalis Sutkinemluf!“ ließen den Großteil seiner Wunden verschwinden.

Ein Zant biss mich - und fiel. Ein Heshtot wagte es Yolande mit der Peitsche zu schlagen -  und fiel.

Ulfried, den zwei besonders riesige und bösartige Schatten bedroht hatten, entledigte sich nun endlich seiner Gegner. Dann begann unser Rondra Geweihter zu flackern.
Tankreds Ruf erklärte das Phänomen: „Der Traumzauber… Ulfried fällt aus dem Traum heraus… Ich kann ihn nicht halten.“ Dann verschwand der Geweihte.

Bevor die nächsten Gegner sich auf uns stürzen konnten, versammelt ich alle um einen Heilungssegen zu sprechen. Das Licht des Herrn schien auch in dieser Globule auf uns herab und vertrieb auch die ersten wieder auftauchenden Schattengestalten.

Nun betraten wir das Tempeltor. Nicht unerwartet, brachte es uns in den Sonnenpalast, den Haupttempel der Praios Kirche auf Dere in Gareth. Über uns sahen wir die intakte Kuppeldecke und mein Herz ging vor Freue schier über, als ich über dem Altar das Ewige Licht schweben sah. Die gleißende Kugel aus reinem Sonnenlicht. Der sichtbare Segen des Praios! Fast konnte ich das Wissen um das Verschwinden des Lichts aus meinem Herzen bannen, doch ganz gelang mir das nicht.

Wir fanden den nächsten Seelensplitter im Körper eines jungen Novizen in einer Rechtsvorlesung, bei der er wissbegierig die Ausführungen eines älteren Diener des Götterfürsten lauschte. Thema war das Spannungsfeld zwischen dem Herrn Praios als Quelle allen Rechts und den Menschen, die in Ihrer Unvollkommenheit danach streben mussten, den unfassbaren göttlichen Willen in Menschenwerk zu bringen. Denn grundsätzlich war jedes Gesetz ein Element der Ordnung und somit Praios Wille. Nichts desto weniger war dem Menschen der freie Wille gegeben, sodass es neben guten Gesetzen nicht nur auch unvollkommene, sondern sogar schändliche, dem Herren und dem göttlichen Willen klar zuwider laufende Gesetze gab. Die Schwierigkeit für die Geweihten des Götterfürsten bestand nun nicht nur darin gerechte Gesetze auf Basis des göttlichen Willens zu entwickeln, sondern auch darin bestehende Gesetzte auszulegen um zu prüfen, ob ein Gesetz wahrhaft gerecht war. Denn nur weil dem Bauersmann ein Gesetz nicht gerecht erscheinen mag, heißt dies nicht, dass es auch ungerecht ist. So wie der Hund nicht verstehen mag, warum er an einer Leine geführt wird, sein Herr aber weiß, dass er damit verhindert, dass vor ein Fuhrwerk gerät.

Ich möchte betonen, dass das die einfache Zusammenfassung der Vorlesung eines Bruder Emmeran war, der Geweihte aus dem Lager der Legislaturisten war von göttlichem Eifer ob der Spitzfindigkeiten der gesetzlichen Spitzfindigkeiten. Die Wege des Herrn sind wahrhaft vielfältig. Für mich war diese reine Buchstabenklauberei aber nicht der Weg um dem Herren zu dienen. Genauso wenig hätte aber dieser Emmeran etwas mit meiner dem Herren geweihten Ochsenherde anfangen können.

Mein Gefährte Donator Lumini Emmeran von Böcklingen schaffte es nach der Vorlesung den jungen Aman – der für den Wissensdurst des alten Mannes im Becken stehen konnte - für das Rätsel um die ihm sehr ähnlichen anderen Seelenteile zu begeistern und ihm vor der nächsten Vorlesung kurz „vor die Tür zu bitten“.

Als wir vor die Tür traten war dort wieder nur die mit Felsen übersäte Ebene die unter einem bleigrauen und wolkenverhangenen Himmel lag. Zwar wurden wir nicht sofort wieder überfallen, aber im Hintergrund begannen die Schattenwesen schon wieder aus ihren Löchern zu kriechen. Von der Göttin Hesinde gesandt kam uns die Idee, die Seelenteile zu fragen ob Ihnen eine bestimmte Richtung „richtig“ vorkäme. Und tatsächlich, wiesen Sie uns linker Hand in den Nebel. Zuerst konnten wir nur die schon bekannten Schatten im Dämmerlicht ausmachen. Gerade als diese begannen und wieder näher zu kommen, konnten wir zum ersten Mal einen hellen Schein in der Ferne ausmachen. Wir strebten darauf zu und je näher wir kamen desto besser konnten wir die hellen Strahlen aus Sonnenlicht ausmachen, die sich einer Leiter gleich auf den Boden ergossen und außerdem einen kleinen Bereich auf diese herum ausleuchteten. Wie an einem Schild aus Licht wichen die Kreaturen des Alptraums vor der Macht des Herrn zurück und wir konnten hochklettern und kamen über den Wolken auf eine marmorweiße Ebene, die von Schreien, Statuen und Praiossymbolen übersät war.  Ich erkannte die Statuen des Heiligen Quanion, dem Baumeister und Heliodon manchmal mit dem heiligen Licht, öfter aber im Kampf gegen dämonische Unholde und erinnerte mich: Das Ewige Licht war bereits einmal verschwunden, als die Dämonenkaiserin Hela Horas es aus der Stadt schaffen ließ, so dass es nicht Zeuge ward ihrer Schandtaten.

Schließlich kamen wir zu einem bemerkenswerten Ort, der Ruine eines kleinen Praios-Tempels mit quadratischem Grundriss, dessen eingestürztes Dach einst von vier Säulen getragen wurde. Nur mehr eine der Säulen, mit dem Symbol einer Waage geschmückt, war erhalten, die anderen lagen in Trümmern. In diesem Tempel meditierte ein weiteres Namensstück: Conda (ein alter Mann, still, asketisch mit reinweiße Robe der einen unfassbar tiefen Glauben ausstrahlte.

Er ließ sich nur sich nur ungern im Gebet stören, war aber sonst sehr freundlich. Als wir Ihn auf die Tempelruine ansprachen, strich er mit der Hand über die erhaltene Säule und meinte: "Das hier bin ich. Gerechtigkeit. Aber seht: Das Haus des Herrn ruhte auf vier Säulen!".

Obwohl wir inzwischen schon sechs Namensbestandteile versammelt hatten, schien immer noch etwas zu fehlen.