Aus dem Tagebuch der Magierin Yolande Silbersaite
21. Peraine 1032 BF, Elenvina, abends
Nach dem Abendessen saßen wir in gemütlicher Runde
beisammen und diskutierten gerade, wann wir nach Gareth aufbrechen
sollten, um Pagol Greifax Bericht zu erstatten, was mit seinem Bruder
geschehen war. Da trat Regiardon de Mott, der Ordensmeister des Ordens
des Heiligen Hüters auf uns zu. Ihm folgte ein
Praiosgeweihter, etwa 1,80 Schritt groß, schlank,
weißes Haar. Die fünfzig hatte er wahrscheinlich
bereits überschritten. Er trug eine einfache rote Kutte des
Hüterordens und ein Halsamulett mit drei Kugeln. Das zeichnete
ihn als in der Hierarchie über Emmeran und Baldus aus; die
hatten jeweils nur eine Kugel. Sein Name war Bruder Praiodatus, der in
wichtigem Auftrag nach Gareth geschickt wurde. Da wir denselben Weg
hatten, bot es sich an, ihn mit unserer Gruppe reisen zu lassen.
Seine Ehrwürden Praiodatus erklärte uns, er
hätte für die Suche nach dem heiligen Licht besondere
Informationen, die er in Gareth berichten sollte. Weiterhin
ließ er durchblicken, über alle Vorkommnisse der
Kirche Bericht zu erstatten. Bei dem musste ich mich gleich doppelt
vorsehen!
Kurze Zeit später, wir waren noch dabei, uns miteinander
bekannt zu machen, kam ein Bediensteter und sprach ihn mit
„Euer Gnaden“ an. Der Bruder korrigierte ihn sofort
nicht unhöflich aber mit fester Stimme:
„Ehrwürden, lerne er das bis zum nächsten
Praiostag!“ Wie dem auch sei, jedenfalls wurden Tankred und
seine Gnaden Sonnenlob zum Großinquisitor da Vanya
geführt. Tankred erzählte mir später
ausführlich, dass der gute Herr Großinquisitor im
Vergleich fünf Kugeln an seinem Gürtel trug. Auch
wirkte er vermeintlich etwas jünger, vermutlich eine
Nachwirkung des drachischen Canti, der im Becken auf ihm gelegen hatte.
Aus Gratenfels, so der Großinquisitor, sei beunruhigende
Kunde gekommen: Ein verwirrter Mann wurde in der Nähe von
Gratenfels aufgegriffen. Er erzählte von Schwärze,
Finsternis, Tod und Verderben. Als Namen nannte er Baldur Grotho
Greifax. Das warf einige Fragen auf: Wie konnte der aus seiner Obhut im
Kloster auf dem Greifenpass entkommen und warum? Oder, falls er es
nicht war, wer war er dann und was war dann sein Auftrag? Tankred bat
den Großinquisitor um ein Schriftstück, mit den
Schilderungen dieses Sachverhalts für den Bruder des
Verwirrten, Pagol Greifax.
Als die beiden wieder ankamen, war Tankred bereits im
Problemlöser-Modus: Er berichtete knapp, dass uns der
Großinquisitor etwas aufgetragen hätte, was nicht
hier und jetzt besprochen werden sollte. Für den Aufbruch
legte er fest, dass wir seine Ehrwürden Praiodatus vor dem
Haus des Großinquisitors eine Viertelstunde vor Sonnenaufgang
marschbereit treffen würden. Dann fragte er, ob dieser
irgendwelche Hilfe, ein Packtier oder ähnliches
benötigte. Seine Ehrwürden verneinte dies und nahm
sich dann kurzerhand seine Gnaden Sonnenlob vor: Warum der Magier ihm
das erzählte und nicht Baldus selbst? Damit hatte unser
Gefährte überhaupt nicht gerechnet. Er wand sich
sichtlich bei seiner Antwort, während Tankred und ich uns
verstohlen angrinsten.
22. Peraine 1032 BF
Zur verabredeten Zeit trafen wir seine Ehrwürden Praiodatus
vor dem Haus der Inquisition. Seine Gnaden Baldus war noch sehr
verschlafen und wurde ob dessen erneut von seiner Ehrwürden
Praiodatus ein wenig zurecht gewiesen. Dann klopfte er und bekam die
Botschaft sofort und wortlos ausgehändigt. Der Bedienstete
hatte zwar mit der Beschreibung unserer Gruppe keine schlechte
Begründung, doch muss ich seiner Gnaden Sonnenlob zustimmen,
dass zumindest eine Nachfrage nach dem Namen angebracht gewesen
wäre. Dann ging die Sonne auf, und seine Gnaden Baldus stimmte
das Morgengebet an. Anschließend ritten wir aus der Stadt.
Kaum waren wir aus der Hörweite der Wachposten, begann seine
Gnaden Sonnenlob mit der Erzählung, wie wir da Vanya getroffen
und gerettet hatten. Dabei traf er auch zielsicher ein paar
Fettnäpfchen: Zum Beispiel weiteten sich die Augen seiner
Ehrwürden zunächst bei der Beschreibung, dass
„auch die örtliche Hexe nicht viel dazu sagen
konnte“. Diese hatte er zuvor mit keiner Silbe
erwähnt. Als er dann versuchte, seiner Ehrwürden zu
erläutern, dass die Frau keinen Scheiterhaufen verdient hatte,
konterte dieser sehr trocken mit: „Habt Ihr das
Gefühl, diese Frau verteidigen zu müssen?“
Erneut wand sich seine Gnaden in seiner Erklärung, erneut
grinsten Tankred und ich uns an.
Die Reise in den Alptraum da Vanyas beschrieb dann zunächst
Tankred. Schlussendlich erklärten uns die beiden dann
darüber auf, was geschehen und was unser daraus folgender
Auftrag war: Baldur Grotho Greifax, den ehemaligen Grafen von
Gratenfels zu finden, zu identifizieren, zu befragen und letztlich die
Umstände dieser Meldung zu klären.
26. Peraine 1032 BF, Gratenfels, abends
Gestern Abend erreichten wir Gratenfels. Wir waren uns einig, dass die
Zeit drängte, daher ritten wir sofort zum Tempel. Den fanden
wir verschlossen vor, daher klopfte seine Gnaden Sonnenlob und man
gewährte uns Einlass. Als der Tempelvorsteher hörte,
wer uns schickte, bat er uns in seine Räumlichkeiten. Wir
wurden zunächst versorgt, dann waren wir mit dem Vorsteher
alleine, und er forderte uns auf, zu sprechen.
Seine Ehrwürden Praiodatus überließ Baldus
die Erklärungen, da er die Hintergründe und auch
Baldur Greifax selbst nur aus unseren Erzählungen kannte.
Baldus erklärte daher kurz und knapp den Sachverhalt und
forderte dann den Tempelvorsteher zu einem entsprechenden Bericht auf.
Dieser bestätigte, was wir bisher wussten: Baldur Grotho
Greifax wurde vor etwas mehr als einer Woche in der Gegend um
Gratenfels herum aufgegriffen. Er stammelte völlig wirres Zeug
von Blut, Zerstörung, Gewalt und Schwärze. Auf die
Frage, wer er sei, konnte er immerhin antworten. Da der Tempelvorsteher
jedoch überhaupt erst seit zwei Götterläufen
vor Ort war, kannte er weder Greifax persönlich noch seine
Geschichte oder seinen Aufenthaltsort oder seine Art der Unterbringung
bis zu diesem Tage. Zu seinem eigenen Schutz war er in einer
Karzerzelle im Keller untergebracht.
Wir baten darum, den armen Menschen sofort zu sehen. Der
Tempelvorsteher führte uns zur Zelle. Gerade, als er die
Tür aufschloss, hörte Tankred ein
unterdrücktes Keuchen von oben. Der reagierte sofort:
„Waffen raus, Baldus, sichere nach hinten! Das klang wie das
Ausschalten eines Wachpostens!“
Die Zelle wurde geöffnet. Sofort erkannten wir Baldur Grotho
Greifax wieder. Zumindest sein Aussehen stimmte. Gerade bat Tankred
seine Ehrwürden, ob er mit der Kraft des Herrn Praios die
arkane Matrix prüfen könnte, um sicherzugehen, dass
es sich nicht um eine andere Person in magischer Tarnung handelte, da
roch ich Qualm. Auch Tankred reagierte. Baldus mit seinem
großen Schild voraus gingen wir die Treppe nach oben. Aus
seinem Stab heraus stärkte Tankred sich selbst und mich mit
einem Reversalis Ossefoproc; Baldus lehnte das ab.
Am Kopf der Treppe dann sahen wir sieben vermummte Gestalten.
Fünf waren gerade dabei, den Tempel in Brand zu stecken. Meine
erste Reaktion war: „Feuer!“ Von unten kam die
Frage zurück: „Wie schlimm ist es?“ In
diesem Moment griffen uns fünf der sieben an. Balus rief den
Herrn der Sonne an, und sofort erfüllte ein
gleißendes Licht seine Rüstung, das die Angreifer
stark blendete. Sie waren mit Kurzschwertern bewaffnet und vier von
ihnen verteilten sich nun um Tankred und Baldus im Halbkreis. Ich rief:
„Sieben Angreifer!“, und aktivierte die Haut des
Humus. Es war klar, dass wir mindestens einen lebend brauchten.
Baldus traf den ersten mit einem Kopftreffer. Der wankte stark, hielt
sich aber noch auf den Beinen. Allerdings war ihm die
Gehirnerschütterung sicher. Und mit der Ochsenherde, die ihn
traf, vermutete ich eine baldige Gehirnblutung. „Blitz einen,
Yolande!“, rief Tankred. Ich tat, wie mir geheißen.
Die Macht des Herrn beeinträchtigte den Zauber zwar stark,
aber ich konnte den Blitz durchbringen: Einer von Tankreds Gegnern
tappte etwas unbeholfen.
Baldus‘ Gegner mit dem Kopftreffer erhielt inzwischen einen
schweren Beintreffer: Einer der Dornen an den Kugeln riss eine
hässliche Wunde. Das sah auch dessen Kampfgefährte,
der den nun inzwischen schwer Verwundeten kurzerhand sein Schwert
unterhalb des Brustkorbs in den Leib stieß. Das zerschnitt
ihm Leber und wahrscheinlich auch die Pankreas. Wenn ich sofort
hätte handeln können, wäre ich in der Lage
gewesen, sein Leben zu retten. Aber unter diesen Umständen
hatte ich keine Chance. Unsere Gegner versuchten also ebenfalls
entweder lebend zu entkommen oder uns tot in die Hände zu
fallen. Im Hintergrund hatten die übrigen drei inzwischen so
ziemlich alles an Mobiliar in Brand gesteckt, was sie finden konnten.
Langsam wurde es kritisch.
Das sah auch Tankred so: Er scheiterte beim Versuch, einen
Paralysis-Cantus durchzubringen. Und auch ich scheiterte an einem
Corpofesso-Cantus für einen der drei im Hintergrund. Die Macht
des Herrn war einfach zu groß, oder unsere Konzentration in
diesem Durcheinander einfach durch Kampf, Feuer und Qualm nicht stark
genug, um den Schutz des Herrn und die intuitive geistige Abwehr der
Schergen zu überwinden.
Während Baldus seinem verbleibenden Gegner sein Bein und
Tankreds anderem Gegner den Arm zertrümmerte, rief ich:
„Raus hier!“ Tankreds zuvor tapsiger Gegner hatte
gerade meinen Blitz-Cantus abgeschüttelt. Nach einem panischen
Rundumblick gab er Fersengeld. Inzwischen kam der Rest
unserer Gefährten zusammen mit dem Tempelvorsteher und Grotho
Greifax die Treppe rauf. Ich lud mir den Kerl mit dem
zertrümmerten Bein auf den Buckel und lief aus dem Tempel.
Baldus tat das Gleiche mit Tankreds Gegner mit zertrümmertem
Arm.
Draußen hörte ich, wie der Feuergong hektisch
geschlagen wurde. Es bildete sich bereits eine Löschkette. Die
Arbeiten beschränkten sich jedoch darauf, das Feuer am
Übergreifen auf die anderen Häuser zu hindern. Weder
Tankred noch ich hatten die Möglichkeit, den Tempel noch zu
retten. Also geschah das Undenkbare: Der Tempel des
Götterfürsten brannte nieder, zum Entsetzen aller.
Ich besah mir kurz die beiden Verwundeten. Einer der beiden bedurfte
sofortiger Heilmagie, der andere könnte auch mit simplen
Verbänden überleben. Also stabilisierte ich den
tödlich getroffenen mit einem Balsam-Cantus, was die schwere
Wunde am Bein schloss. Dann verband ich den zweiten. Damit sollten
beide in der Lage sein, das Verhör zu überleben.
Baldus stupste mich an und deutete auf meine verholzte Haut:
„Mach das mal weg, bevor noch einer guckt!“ Oha,
allerdings, daran hatte ich natürlich gar nicht mehr gedacht!
Zu sehr bin ich meine Elementarfähigkeiten inzwischen
gewöhnt. Ich dankte ihm und deaktivierte wieder die Humushaut.
Hier bot mir seine Gnaden Baldus Sonnenlob dann das Du an.
Die hochnotpeinliche Befragung der beiden Gefangenen erfolgte direkt im
Anschluss. Seine Ehrwürden Praiodatus hatte die besondere
symbolische Idee, dies mit glühenden Holzspänen des
gerade abgebrannten Tempels vorzunehmen. Wie wir das erwartet hatten,
waren die beiden natürlich verblendete Fanatiker.
Ihr Auftrag war selbstverständlich, den Tempel zu
schänden. Unser Eingreifen dabei hatte sie deutlich
überrascht, mit diesen Schwierigkeiten hatten sie nicht
gerechnet. Bis hierhin hatte ich bei den Worten von Grotho Greifax mit
der nächsten zu entschlüsselnden Prophezeiung
gerechnet. Doch erzählten uns die beiden Gefangenen auch, dass
sie bereits das Hüterkloster oben auf dem Pass angegriffen
hatten. Das erklärte natürlich ein eher
zusammenhangloses Gestammel dieser armen Seele von Tod, Blut und
Schwärze!
Durch gutes Zureden erfuhr ich dann auch von der Flucht von Greifax,
wenn auch nur in Stichworten: Er saß gerade losgeschnallt
beim Frühstück, als der Überfall stattfand.
In seinem Zustand ließ es sich nur als
geistesgegenwärtig bezeichnen, dass er bei den ersten
Kampfgeräuschen und Schreien offenbar direkt ein Versteck
aufsuchte und in dem Chaos von Versteck zu Versteck schlich, um
anschließend auf dem Pass direkt nach Gratenfels zu fliehen.
Es kostete uns einige Mühe, aus ihnen den Namen oder
wenigstens eine Bezeichnung ihres Herrn herauszubekommen. Aber es war
wichtig, zu wissen, ob die beiden dem „goldenen
Herrn“ dienten oder einem anderen. Es stellte sich heraus,
dass es sich um den „Herrn der Rache“ handelte,
also den Gegenspieler des Herrn Praios. Wir fanden in ihrer Kleidung
auch die Henkersschlinge versteckt.
Die Exekution der beiden fand dann zum Morgengebet statt. Direkt im
Anschluss sattelten wir die Pferde und ritten zum Kloster. Gegen Mittag
erreichten wir die Passhöhe des Klosters und vermeinten noch
Brandgeruch in der Luft zu riechen. Die Anlage selbst war nur noch ein
Haufen verkohlter Trümmer. Das Entsetzlichste war aber der
Anblick, der sich uns im Torhaus bot: An die Tür hatten sie
die ausgeweidete Mutter Oberin Heiltrud Ackerknecht genagelt. Ihre
Mitbrüder hingen an ihren eigenen Gedärmen
aufgeknüpft an den Deckenbalken.