Ein Brief an den Hüter Aureas, persönlicher Secretarius des Pater Visitator Praiodatus, in der Klausur des OSC zu Elenvina

Mein Sohn und Bruder,

dem Gebot des Herrn und seines Heiligen Dieners Arras de Mott folgend weise ich Dich an, getreu in die Archive des Ordens aufzunehmen, was zu Hüten ist – Custodes Sumus, Scriptura Manent, PRAios Vult (bosp.: Wir sind die Hüter, die Schrift überdauert, PRAios will es.). Ich berichte Dir von meiner Reise.

Der Mond der Erntegöttin neigt sich seinem Ende zu, als meine durch den Willen des Herrn zu Gefährten bestimmten Begleiter und ich das Kloster am Greifenpass erreichen. Es ist der 27. PERaine, doch diesen neuen Morgen, den die Zwölf haben werden lassen, hätten sie in ihrer Gewalt vielleicht ihrem göttlichen Bruder BORon weihen sollen statt seiner milden Schwester, der gütigen Göttin der Heilkunst. Denn die Mauern des Klosters sind schwarz von Asche, aus den Gebäuden steigt Rauch auf und wir treiben die Pferde zur Eile an.

Meine Feder will nicht niederschreiben, was wir dann erblicken mussten.

Zwar war das Torhaus so gut wie unversehrt, an das Portal aber hatten Unbekannte die Mutter Oberin Heiltrud Ackerknecht genagelt und ausgeweidet. Ihre Schwestern und Brüder vom Greifenpass waren an ihren eigenen Eingeweiden an den Balken des Torhauses aufgehängt worden. Noch viel mehr haben die verruchten Seelen getan, grausige Schändungen und Entwürdigungen vorgenommen, allesamt Zeichen götterlosen Wirkens an den armen Ordensgeschwistern.

Der Weltenrichter urteile in seiner Gerechtigkeit über den Dienst unserer Schwestern und Brüder und erhebe sie, wenn sie würdig sind, in den leuchtenden Tempel inmitten Alverans. Jene aber, die für die Taten verantwortlich sind, verfolge SEIn strahlendes Auge.

Denn wie der Herr PRAios nach dem Codex Heliodanis in Abschnitt 25, Vers 17 uns verkündet:
 „Der Pfad der Gerechten ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer. Gesegnet sei der, der im Namen der Wahrheit und des guten Willens die Schwachen durch das Tal der Dunkelheit geleitet. Denn er ist der wahre Hüter seines Bruders und der Retter der verlorenen Kinder.“

Und da steht weiter:
„Ich will Gericht halten über jene, die da versuchen meine Söhne und Töchter zu vergiften und zu vernichten, und mit Grimm werde ich sie strafen, dass sie erfahren sollen: Ich sei der Herr, wenn ich mein Urteil an ihnen vollstreckt habe.
Verbum Sanctum!!“

Dass, wer ein Kloster angreift, wahrscheinlich ein götterloser Ketzer ist – diesen Verdacht teilten wir alle. Wir wussten ja aus Gratenfels, dass Diener des B… dessen Name verdammt und versiegelt sei, in der Region ihr unheiliges Wesen treiben. Und dass die Diener des Unheiligen Richters, der vor dem wahren Urteil des Herrn nicht bestehen darf, deshäufigen Arkane sind – das ist bekannt.

Geschützt vom unverzaglichen Glauben an die gerechte Sache hielten wir es für angebracht, im Schutz der Schilde unserer Brüder Baldus und Emmeran und des rondragefälligen Recken Ulfried Rondrian von der Kirche der Leuin unsere eigenen Arkanen eine magische Betrachtung der Umgebung vornehmen zu lassen. Die Adepta und der Adeptus wurden nicht fündig, nicht einmal „Hintergrundstrahlung“ gäbe es.

Allerdings erwies sich Adeptus von Schneehag auch als recht geschickt im Verfolgen weltlicher Spuren, Bruder Baldus immer an seiner Seite und voran. Soweit ging die Umsicht unseres Bruders, dass sie für uns andere mitunter ein wenig befremdlich wirkte – etwa, als er begann, einen Sattel in schwer einsehbare Gänge zu werfen, um mechanische Fallen auszulösen.

Die Begleiter fragten natürlich nach den Bleikammern des Klosters, doch da ich diesen Sitz unseres Ordens noch nicht zuvor besucht hatte, konnte ich nicht helfen. Auch mir war allerdings klar, dass wir die Kammern unbedingt finden mussten. Denn wenn nicht nur pure Verwüstung das Ziel des Angriffs war, dann wohl mit Sicherheit ein Diebstahl des gehüteten Wissens.

Während wir das, was vom Kloster übrig geblieben war – und das war, den Zwölfen seis geklagt, nur wenig – untersuchten, fand ich einen erschlagenen Ordensbruder, und in seiner Hand einen kleinen Beutel. Darin waren fünf eigenartig geometrisch geformte Bernsteinplättchen, die von feinen – für keinen von uns lesbaren – Gravuren überzogen waren. Die Plättchen gehorchten einem höheren Willen und versuchten, in eine Ordnung zu kommen – der Versuch gelang aber nicht, wahrscheinlich fehlten Teile. Wieder erwies sich die Gegenwart der von HESinde gesegneten Zauberer unserer Gruppe als nützlich, denn erneut konnten die Gelehrten ausschließen, es hier mit einer Form von Zauberei zu tun zu haben. Zu solchen Zwecken mag Zauberwerk durchaus wohlgetan und der göttlichen Ordnung gefällig sein. Benedikante Arkana … ein interessantes Thema, über das wir an einem anderen Tage reden sollten.

Jedenfalls: Bruder Baldus und ich gingen aufgrund der Beschaffenheit der Bernsteine, dem Material selbst und vor allem seinem Willen zur Selbstordnung davon aus, es müsse sich um karmales Wirken handeln – und das es gewiss kein Zufall sein konnte, dass diese Dinge nicht von den Brandschatzern genommen worden waren. Ein so mächtiges Paraphernalium für die Invocatores Damnatorum*3 wäre sicher nicht übersehen worden. Ich vermute und ich glaube in Vertrauen auf den Herrn nicht an einen Zufall – vielmehr offenbarte sich die heilige Wahrheit hinter der dritten Losung des Heiligen Arras de Mott, das zu hütende Wissen betreffend: Sub Alas Garafanis Indigni Occulis Occultatum.
Bruder Baldus, der mir bisher eher als ein bizepoides Bollwerk gegen die Ketzerei und weniger als eine Fackel der Erleuchtung erschienen war, überraschte uns alle mit einer präzisen, sternkundlichen Betrachtung des von uns allen geteilten Verdachts, es handle sich bei den Markierungen um Sternkonstellationen. Leider erlaubte auch Bruder Baldus‘ überraschende Kenntnis keine Einordnung der Zeichen in bekannte Himmelsbilder, und auch die von der kirchlichen Lehre möglicherweise abweichenden Interpretationen der Himmelslichter durch die Lehren der Magiergilden führten uns nicht weiter.

Ich übernahm als ranghöchster Diener des Herrn das Artefakt in Verwahrung. Wir werden sehen, ob es noch benötigt wird, oder archiviert werden kann. Aufgrund des Materials – der Lapis Ardens wird an den nördlichen Gestaden gefunden – und der sternklaren Himmel des Nordens, die eine weitere Erforschung der Sternzeichen auf dem Artefakt erlauben könnten, werde ich dem Hochmeister vorschlagen, im Fall einer Archivierung das Artefakt nach Auridalur in Glyndhaven zu senden.

Nach dem Fund der Bernsteine und den ersten Bemühungen um eine geweihte Ruhe für die getöteten Ordensgeschwister nächtigten wir in der Wachstube, die nicht von den Ketzern zerstört worden war. Meine Begleiter nutzten die Zeit, um von den Tagen ihrer Queste zu berichten, davon soll an anderer Stelle die Rede sein. Ein geistlicher Impuls dieser Nacht soll aber zu Papier gebracht werden.

Wenn das Bestreben der Niederhöllischen dieser Tage ist, die verbliebenen Lichter der Kirche zum Verlöschen zu bringen, dann begehen die Verblendeten einen Fehler, dabei nur an Tempel zu denken. Selbst in Absentis Sanctis Lumini – Sanctus Quanionus, Ora Pro Nobis -, wenn alle anderen Lichter ausgehen, wird das Licht einer glaubenden Gemeinschaft nicht verlöschen.

Diener des PRAios, der RONdra und Arkane auf dem rechten Pfad der HESinde handeln hier gemeinsam und einem hellen Ziel zugewandt. Solange Gespräche wie die unseren nicht verstummen, mögen Tempel brennen, aber das Licht verlischt nicht. Der wahre Tempel des Herrn ist die Seele seiner Geweihten und seiner Gläubigen. Leicht? Nein, leicht ist es, wird es nicht. Auf die Fürsprache des Ersten unter den Zwölfen müssen wir vertrauen, ganz uns ihm beugen und mit den Worten des 29. Gurvanischen Chorals De Profundis Ad Alveran Clamavi: „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit; brich in Deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann. Erbarm Dich, Herr!“

Am nächsten Morgen reisten wir zurück nach Gratenfels, um Bedeckung für das geschändete Kloster anzufordern, darunter Diener BORons für eine würdige Bestattung. Der Ritter der Göttin und Bruder Emmeran übernahmen diese Aufgabe. Auch aber wollten wir den verwirrten, ehemaligen Grafen erneut befragen.

Diese Befragung überließen wir vorrangig der Gelehrten Dame Silbersaite, die trotz ihrer erfrischenden Jugend nicht nur als Heilerin körperlicher Wunden, sondern auch im Umgang mit Seelischen brillierte. Im Gespräch mit Baldur Greifax Grotho von Gratenfels, vor seinem Fall Hochwohlgeboren und Graf zu Gratenfels, versuchten wir, mehr über die Angreifer herauszufinden. Da sich der vormalige Graf zunehmend beruhigte, hatten wir alsbald ein recht klares Bild:

Die Angreifer waren verblendete Diener des Herrn der Rache, allerdings schlechter organisiert, als befürchtet. Der Anführer der Klosterschänder musste jemand sein, der zumindest grundlegende militärische Kenntnisse hatte – nach Sprache und Stil vielleicht ein ehemaliger Reichssoldat oder ein Söldnerführer. Die anderen werden wohl einfache Schlagetots sein – ein Begriff, der impliziert, man soll dieses menschliche Gekröse einfach totschlagen, wo man es findet. Doch das greift dem vorgesehenen Prozess vor der Heiligen Inquisition in unangemessener Weise vor, auf derartige Ketzer soll die ganze Gerechtigkeit der Kirche niederfahren wie der Bannstrahl des Herrn selbst. In dessen Namen werden die Inquisitoren zu Gericht sitzen, und deren Urteil wird heilige Verdammnis und läuternde Flamme sein. Denn so will es das Gesetz.

In diesem Zusammenhang wird es vielleicht notwendig werden, Bruder Baldus‘ allzu ertötenden Umgang mit der Ochsenherde etwas zu zügeln, seine Form der Schnellprozessierung ist ja durchaus verständlich und in ihrer praiosgefälligen Klarheit angemessen – aber sie ist auch unvollständig. Wir werden sehen.

Weiter berichtete uns der gewesene Hochwohlgeborene, der Angriff habe nicht sehr lange gedauert. Er habe sich versteckt und daher nicht alles im Detail sehen und hören können. Aber er hatte den Eindruck, die Horde hätte gezielt etwas gesucht – wahrscheinlich die Bleikammern, denn irgendwann habe man dem Anführer zugerufen, „es“ sei gefunden. Im Übrigen sei eine ziemliche Orkerei im Gange gewesen, und die Stimme des geistvernebelten Herrn von Gratenfels gestattete ihm nicht, alle Grausamkeiten zu nennen.

Wir ließen den gefallenen Grafen in der Obhut des gräflichen Hauses und bereiteten unsere erneute Reise zum Kloster vor. Zu diesen Vorbereitungen gehörte es auch, einen zwergischen Baumeister namens Brombosch, Sohn des Aberax anzuwerben. Für das übliche Salär in Gold sollte uns der Mann vom Kleinen Volk dabei helfen, die versteckten Kammern des Klosters am Greifenpass aufzuspüren, um deren Unversehrtheit zu Prüfen.

Der Zwerg empfand unsere Ankunft am 01. INGerimm als Segen Handwerksmeisters von Alveran, der die Regentschaft über seine 30 Sonnenläufe antrat – und mag es tatsächlich der Wille des Himmelsschmieds gewesen sein oder die profunde Handwerkskenntnis von Aberaxens Sohn, jedenfalls gelang dem Kurzen, was uns nicht gelungen war: er fand den Eingang zur Geheimkammer.
Diese war vom Feuer verschont worden, doch offenbar durchsucht und beraubt. Das mir vertraute Ordnungssystem verriet schnell, dass ausschließlich schwarzmagische Schriften gestohlen worden waren, bei denen es sich um für den Kult des Rachedämons relevante Werke handelte – Damnatus Sit!
Wir informierten die mit uns gereisten Diener des Herrn aus Gratenfels und übergaben ihnen die Klosterruine und die Kapelle, die nun zwar in Abwesenheit des Ewigen Lichts von Gareth noch nicht würde neu geweiht werden können, in denen aber die göttliche Liturgie dennoch wieder Einzug halten konnte. So sprachen wir innig die Worte des Heiligen Kolossos von Zyklopäa, der in seiner Dritten Schrift im 16. Vers die Herzen der klagenden Priester erhebt:

„Lasst die Botschaft von PRAios ihren ganzen Reichtum bei euch entfalten. Unterweist und ermahnt euch gegenseitig mit aller Weisheit und dankt dem Ersten unter den Zwölfen von ganzem Herzen mit Psalmen, Lobgesängen und Liedern, die euch seine Gnade schenkt.
So sei es, es geschehe also – PRAios Vult.“

In der Überzeugung, die örtliche Priesterschaft und die Landesherrlichkeit werden sich der schrecklichen Geschehnisse annehmen, übergaben wir die Angelegenheit in aller Ordnung den zuständigen Autoritäten und brachen nach Gareth auf, dem eigentlichen Ziel unserer Reise. Der Wahrer der Ordnung der Mittellande erwartet uns.
Bruder Aureas, mein Sohn und Bruder vor dem Herrn, ich schreibe Dir beizeiten wieder.

Möge der Herr Dich leiten und die Schwingen seiner Heiligen Greifen über Dir breiten, bis wir einander wiedersehen.

P. Praiodatus, Ordo Sancti Custodis (Orden des Heiligen Hüters)