Ein Brief an den Hüter Aureas im Kloster zu Elenvina, persönlicher Secretarius des Pater Viatoris, Ew. Ehrwürden Praiodatus

Mein Sohn und Bruder,
wie in meinen Briefen zuvor weise ich Dich an, getreu in die Archive des Ordens aufzunehmen, was zu Hüten ist – Custodes Sumus, PRAios Vult.
Nach dem großen Götterdienst zu Ehren des Herrn PRAios an seinem Hoch- und Herrschaftsfest brachen wir auf, Seinen Segen mit uns wissend – die Sonnenalchemie hatte Gnade vor dem Herrn des Lichts gefunden.

Dieses Ereignis hat uns alle sehr bewegt. Immer wieder wird das Aufstrahlen des Lichts in uns, um uns und über uns ein Thema von Gesprächen. Beeindruckend scheint auch, wie weit das Strahlenwunder noch zu sehen war – noch in Mühlingen in der orkbesetzten Finstermark hat man den Widerschein von Alverans Sonnenglanz beobachten können.

Nun, wir brachen also am ersten Tag des jungen Jahres 1033 nach dem Fall des vieltürmigen Bosparan auf nach Gashok. Baldus wollte zunächst nach Warunk ziehen, entschuldigte seine Verwechslung der Örtlichkeiten dann aber damit, daß es in beiden Städten bekannte Käsereien gäbe. Lieber Bruder Aureas, ich schätze, auch er hat in der jüngsten Vergangenheit mit Fuldigor gesprochen …

Die Illuminata reiste mit einer kleinen Gruppe von Begleitern ebenfalls ab, um dem Wunsch Seiner Erhabenen Weisheit des Lichtboten nachzukommen und sich auf den Weg nach Gareth zu machen. Baldus, nach wie vor kein großer Freund der gefährlich freigeistigen Positionen der Glaubensschwester,  hoffte auf einen erneuten Sternenfall, der das Kloster zerschlägt. Die Götter teilten den Zorn unseres Morgensternschwingenden Glaubensbruders jedoch nicht.

Wir erreichten nach kurzer Reise die Grenze zum orkbesetzten Sveltland, einen Gebirgspass. Ritter Ulfried berichtete vom orkischen Heer, welches den Finsterkamm überquert hat, was menschlichen Heeren zuvor nie gelungen war. Schaurig waren seine Schilderungen vom orkischen Kriegszug und der widerwillig anerkannten Klugheit ihrer Heerführer, und ich trug das meinige bei, indem ich aus dem Orkensturm auf Greifenfurt berichtete.

Die Grenze zur Finstermark wurde mit H’rosh Tha’Brazagh markiert. Dieses Orkenwort beschreibt aus  Knochen, Blut, Leder und allerlei Scheusslichkeiten gefertigte, nun, Banner oder Heerzeichen. Des Orkischen mächtig könnte ich die meisten Zeichen für die anderen erklären, und Ritter Ulfried ergänzte meine Worte um alles, was er über die Feldzüge und Kriegspraktiken der Orks im Allgemeinen und der ihm bekannten Stämme wusste. Aus dem Mund eines Rondrianers sachlich und vollständig, doch von unterschwellig schwelendem – und gerechten – Zorn auf die Schwarzpelze getragen hatten seine Worte in Gegenwart der scheusslichen Feldzeichen eine unheimliche Wirkung. Gleichsam weckten Sie den Zorn der Himmelsleuin und des göttlichen Rechtssetzers in uns, wie auch widerwillige Anerkennung für die Kriegsleistungen der Schwarzpelze.

Und wir besprachen: die „Finstermark“ (so nennen die Orks das Gebiet) befleckt mit Orkendung den Grund und Boden des untergegangenen, föderativen, Städtebundes vom Svelt, also die Lande ab dem Pass bis Riva im Norden. Seit 1010 BF, also schon über 20 Jahre hinweg,  ist hier beinahe jeder Weiler von Orks besetzt und durch jeden Hain treiben sie ihre Wildschweine. Die große Stadt Lowangen ist – die Götter wissen, warum - frei, andere Städte zerstört.

Während die Gemüter unseres Schwertmeisters und des Magus dazu angetan waren, jeden Ork auf Sichtweite mit Flammenstrahl und Schmiedestahl für seine Missetaten zu strafen, gemahnte ich zu kluger Bedachtsamkeit:   Die Menschen hier sind auch noch da, wenn wir weitergezogen sind. Und, auch wenn es eine Sünde wider die Menschlichkeit, vielleicht gar gegen die Götter in Alveran sein mag:  die Menschen haben sich auch teilweise recht gut mit den Orks arrangiert.  Junge Leute kennen die „Finstermark“  auch nicht anders, als er heute ist, und vom ehemaligen Freien Bund am Svelt kennen sie nur Geschichten.

Vorbei an den H’rosh Tha’Brazagh , die wir am Liebsten in Brand gesetzt hätten, dies aber aus purer Klugheit unterließen, zogen wir ins Orkgebiet ein. Das Land ist anders. Frei und klar mag die Luft am Svelt noch sein, und das Tanzen der Himmelslichter auf den unzähligen Seen und Tümpeln, die sich bis weit an den Horizont erstrecken, mutet sogar wildromantisch an. Nachts blinken überall Lagerfeuer – aber wir hören auch Trommeln in der Finsternis und weit entfernt hallt Johlen und Grunzen durch die lichten Auwälder, die sich um die Seitenarme des Svelt schmiegen: jedes Tier im Wald weiß: sie kommen, die orkischen Jäger kommen.

Bei Tag und bei Nacht merken wir: dieses Land ist fremd. Es ist den Menschen immer fremd gewesen, und nur Pioniergeister und Absonderlinge haben sich dem rauen Land zwischen Mitte und Norden der bekannten Welt ernsthaft angenommen. Doch seitdem Orkenpisse in die Gräser und die Stämme der Bäume wandert, wird dieses Land noch fremder.
Immer wieder sieht man auf dem „Saljethweg“ auch orkische Kleingruppen, 2-3 Mann stark, auf struppigen Pferden. Wir treffen auch eine Gruppe der Garachai, deren Champion Ritter Ulfried in einem rondragefälligen Duell besiegt hat. Als die Orks den Ritter erkannten, steckten sie widerwillig, aber mit viel Respekt ihre Waffen weg ,und wechseln die Richtung. Ulfried erwidert die Grußgeste immerhin mit einem (auch seinerseits widerwilligen) Nicken. Schon allein weil er klug genug ist, in dieser Gegend den gerechten Zorn auf die Besatzer zu Zügeln, da sein Ausleben zu viele Gefahren auch für Schuldlose und Wehrlose mit sich brächte. Der Ritter der Göttin ist Schwert und Schild für die Zwölfgläubigen, und er allein mag die Nachwirkungen des Orkensturms und die Besatzung durch die Schwarzpelze nicht zu exorzieren. Magister von Schneehag schaut ähnlich grimmig drein.
Am Abend des 4. PRA erreichen wir Mühlingen, ein kleiner Weiler. In der Hofschenke im größten Bauernhof gibt es einen gemütlichen Abend. Wir hören die Geschichte des „Blutigen Ugo“ von Mühlingen. Außerdem gab es hier vor rund 10 Götterläufen eigenartige Spukerscheinungen. Ein übeler Zauberer habe die Menschen vertrieben, um irgendwelche Goldfunde ausbeuten zu können – später hat ein Garether Salonschreiber in der Novellensammlung „Vom Hauer des Dunklen Keilers“ die Geschichte „Geisterstunde“ daraus gemacht.

Natürlich suchten wir das Gespräch auch über aktuellere Themen.  Wie ist das Leben so mit den Orks? Nach dem Bürgerkrieg“der Durgush-Orks erträglich, fette Tribute werden eingetrieben – sie schlachten aber nicht ihr „Melkvieh“.  Den zornigen Magister verlangt es nach Orkblut – ob es denn eine funktionierende Widerstandsgruppe gäbe? Nein. Aber es gibt den selbsternannten Kaiser Reno des Sveltlandes. Ich erspare mir den Hinweis auf das Ius Divinis der Kaiserlichkeit und was von einem solchen Kaiser zu halten wäre – denn wir wissen ja: auch dieser Kaiser Reno ist mit Sicherheit von Fuldigor eingesetzt.
Nach Meinung der Hiesigen interessieren sich die restlichen Zwölfgöttlichen Lande nicht für die Sveltischen. Darum gibt es hier „Allerlei“. Ritter Ulfried erinnert sich, daß das verräterische Schwert der Schwerter Dragosch von Sichelhofen einen Schwertzug durch das Sveltland ins Orkland führen, wollte, was nur durch das neue und wahre Schwert der Schwerter, die Baronin Ayla von Schattengrund verhindert werden konnte – Denn von Sichelhofen handelte nicht auf göttlichen Befehl. Sein Handeln wäre auch schlecht für die Dinge, die da noch kamen, denn ein solcher unbedachter und dummer Feldzug hätte die Rondrakirche reichlich Blut gekostet, das schicksalshaft erst in den Schlachten gegen den verdammten Borbarad hätte fließen und im Jahr des Feuers hätte brennen dürfen.

Am 06. PRA erreichen wir den ersten größeren Ort, Yramis. Es liegt an einem wichtigen Wegekreuz. Der Nornstieg führt nach Weiden, der Sveltuferweg weiter nach Lowangen und der Tashweg nach Westen in die Sümpfe und Prärie des Sveltlandes. Noch immer mag ich das hier nicht die „Finstermark“ nennen. Die Hälfte der Bewohner sind Orks. Die meisten davon schwer bewaffnet, und es gibt eine „Orkburg“ – der Ort steht unter der Herrschaft von Athrazan Ogerschelle. Ein Koloss von einem Ork. Es gibt hier sogar ein Bordell – der Schuppen bietet Orks und Menschen, äh, Vergnügen. Eigentlich ist „Rahjanas Tempel der Freude“ eine Art Bretterverschlag, der nach Schweinemast aussieht und auch so riecht.

Den Tempel unseres Leuchtenden Herrn haben sie geschändet, was PRAios loben soll, preist jetzt den Blutgötzen Tairach. Sogar Menschen beten die Orkdämonen an. Menschen dienen den Orks – sogar Söldlinge verdingen sich bei den Bepelzten. Borons Haus haben sie dem Kor geweiht. Nah war ich daran, in tiefer Demut den Glanz Alverans und das Heilige Feuer der Sonne auf den ganzen, verfluchten Ort herabzurufen. Wir versuchen uns zu beherrschen, um die Mission nicht zu gefährden. Das fällt besonders Thancred und Ulfried schwer, und mir gelingt es nur unter Aufbietung aller Meditationsfertigkeiten, die ich im Rahmen meiner Ausbildung bei der Inquisition erworben habe. Eines Tages wird PRAios selbst diesen Ort mit seinem heiligen Bannstrahl zerschmettern – oder das Kriegsglück erlaubt es bei der Befreiung der Sveltlande dem Orden vom Bannstrahl, dies zu tun. Während diese Brüder selten mein Gefallen finden, hierfür würde ich selbst Ihnen die Waffen segnen und segnen und dreimal segnen.

Wir verfolgen ab dem 07. PRA den Sveltuferweg, der „Lowanger Svelt“ beginnt. Wir erreichen am Abend die erste „Freie Stadt“ – das ehemalige Zentrum des Sveltbundes, die Stadt Lowangen, durch mächtige Wälle geschützt beherbergt sie zwei Magierschulen und Menschen, die den Orks nicht dienen.  Die Bürger sind wehrhaft. Erneute Fragen nach dem Widerstand: die selbstbewussten Lowanger sehen sich selbst als Zentrum des Widerstands, brauchen nur mehr Verbündete. Magister von Schneehag informiert den Hauptmann eines Wachtrupps über alles, was er weiß: die Aktivitäten der Stämme, die Vorkommnisse auf und im Umland von Arras de Mott und über die Verbrechen des Vogts.

Uns erwartet der erst 1028 fertiggestellte PRAiostempel, hier im Norden eher eine Seltenheit. Natürlich ist der Tempel nicht geweiht – die Abwesenheit des Heiligen Lichts wirkt sich hier, in der Diaspora unserer Kirche, auf grausame Weise aus. Darum werden wir als Quanionspilger mit besonderer Ehrfurcht und mit Respekt behandelt.

Wir nächtigen im „Weißen Haus“ – dieses Etablissement erster Wahl kann mit dem Seelander konkurrieren. Wir empfinden es als ausgesprpchen gerecht, uns hier niederzulassen – als rechtmäßigen Ausgleich für all unsere Entbehrungen auf der Reise.

Auf dem Weg zum „Weißen Haus“ kommen wir an einem Gebäude vorbei, dass in blumigen Lettern „Rute und Stute“ genannt wird. Ich kann mir denken, was das für eine Einrichtung ist. Man stelle sich einmal vor, so eine Schule der Schmerzen würde von einem wackeren, echten Gotteskrieger besucht, ein Hühne wie Baldus Sonnenlob etwa. Und der würde sich dann in einen hautengen Lederharnisch aus Bändern, die mehr freilassen als sie bedecken, zwängen lassen – und mit einer Rute auf den nackten Arsch patschen, während eine in Al’Anfa ausgebildete Auspeitscherin ins Schwitzen gerät, während sie die Neunschwänzige schwingt und das Flagellantentum so weit treibt, daß der Krieger nicht nur in Extase sondern gar in religiöse Verzückung gerät, die erst aprubt endet, als die Liebesdienerin mit meisterlich geschmiedeten Nippelklemmen aufwartet. Und das, wo der arme Kerl doch eigentlich nur tun möchte, was der Garether„Liebe machen“ und der Soldat „Einen wegstecken“ nennt.  So ein Erlebnis wäre schon beeindruckend. Ja, Bruder Aureas, das wäre schon eine eigenartige Vorstellung. Zum Glück nur Phantasie. Ich kann mir nicht erklären, warum sie sich mir aufgedrängt hat, denn die al’anfanische Form der Liebe war auch in meinen jüngeren Jahren nie meines. Wirklich seltsam, welche Pfade die Gedanken manchmal wandern. Lechmin würde sagen: die Gedanken sind ja auch frei.

Überhaupt scheint der Tag, besonders aber der Abend, unter Rahjas Stern zu stehen. Erst diese eigentümlichen Phantasien, und dann rennt auch noch die Maga Yolande nackt durch den Badesaal und schlägt Baldus, so daß dieser wie ein Kind aufheult. Ja, ich konnte nicht umhin, die junge Dame Silbersaite unbekleidet zu sehen, und was ich da sah, ließ mich für eine Weile vergessen, daß ich doch mit ihr zum örtlichen Noionitenkloster hatte gehen wollen – der Sache mit Fuldigor wegen. Vielleicht doch lieber an einen anderen Ort. Ins „Rute und Stute“? Ist es nicht auch für einen Diener PRAios gefällig, den anderen Zwölfen zu Huldigen, auch der Rahja und ihren heiligen Wegen der Vereinigungen? Ich werde darüber nachsinnen.
Am 09. PRA brechen wir von Lowangen auf und reisen weiter nach Norden, immer den ruhig plätschernden, bisweilen schäumendenSvelt entlang.

Wir erreichen am 10. PRA eine andere Siedlung: das 4-500 Einwohner starke „Neu-Lowangen“. Es besteht aus außergewöhnlich rechtwinklig errichteten, sauber gekalkten Häusern. Die Wege durch den Ort machen den Eindruck, von einer Kolonne tulamidischer Reinemachfrauen jeden Morgen auf Hochglanz poliert zu werden – ja, auch die Sandpisten. Aber die Vorstellung ist irrig, Tulamiden würden sie hier niemals dulden. Sie dulden eigentlich niemanden außer sich selbst, diese Dualisten.  Die Stimmung im Ort ist irgendwie frostig. Sie errichten hier gerade eine Scheune, als wir ankommen. Ortsvorsteher Jebediah und seine allesamt ein wenig inzestuös wirkenden Brüder bauen vollbartbewehrt und wohlbehütet eine Scheune. Noch eine. Es gibt schon eine Reihe davon. Diese Leute ignorieren uns beinahe, nicht einmal wir Geweihten empfangen erkennbar viel Respekt. Man hatte mich vor den Dualisten gewarnt. In den eigenen Augen sei man viel gläubiger, tugendhafter und rechtmäßiger als selbst der Bote des Lichts. Nicht-Dualisten sind in den Augen dieser Leute dekadente, alanfanische Lebemänner. Alle. Spaß bedeutet, heilige Verse auswendig zu Lernen. Oder gelegentlich eine neue Scheune zu errichten. Dabei darf dann der einzige, zugelassene Witz des Ortes vom Hüter des Witzes in ernstem Ton vorgetragen werden, woraufhin es gestattet ist, mißbilligend zu husten. Zu besonderen Hochfesten darf Schwester Elsbeth ihren – nur Dualisten gefälligen – Zweitongesang anstimmen. Und am ersten Tag des PHEx ehrt man den ansonsten keinerlei ehrenwerten Schurkengott durch Glücksspiel: es wird ausgelost, wer den ersten Nagel in den ersten Balken der nächsten zu errichtenden Scheune schlagen darf. Das ist immer eine große Freude und ein großes Hallo für die Kleinsten. Natürlich alles in gesittetem Rahmen. Was wohl die Dualisten zu „Stute und Rute“ sagen würden …?

Eines ist jedenfalls offensichtlich: Nicht einmal die Orks wollten diesen Ort ernsthaft erobern. Und ich kann sie verstehen.

Wir ziehen am 11. PRA wieder los. Wir sind früh erwacht, wollen keinen Herzschlag länger als nötig hier verweilen. Wir schaffen es sogar, früher als die Dualisten aufzustehen, und dann schauen wir _Sie_ missbilligend an, während wir aus dem Dorftor schreiten.

Am späteren Abend erreichen wir die Fährstation am Dunklen Svelt, wir können problemlos übersetzen. Am 12. PRA reisen wir von der Fährstation ab und erreichen am Nachmittag Gashok.

Möge der Herr und das Heilige Zeichen seiner Quanionen offenbaren!
Bruder Aureas, mein Sohn und Bruder vor dem Herrn, ich schreibe Dir beizeiten wieder.

Möge der Herr Dich leiten und die Schwingen seiner Heiligen Greifen über Dir breiten, bis wir einander wiedersehen.

P. Praiodatus OSC