Aus dem geheimen Tagebuch des Magiers Rodrik Bannwäldner
05. Rahja 1029 BF
Gareth, Viertel Meilersgrund
Während die anderen einkaufen gingen und Niam wieder
Erkundigungen einholte, eilte ich schon in aller Frühe los um
meine Ausrüstung aus meinem Versteck zu holen. Mit tief ins
Gesicht gezogener Kapuze wanderte ich durch die schon früh
lebendig werdenden Straßen der Großstadt. In dieser
Menschenmenge konnte mich eigentlich unmöglich jemand
erkennen, aber trotzdem war ich nervös.
Endlich vor der Stadt angekommen, wanderte ich zielsicher in den Wald
und fand problemlos die schwarze Eiche auf der kleinen Lichtung. Meine
Ausrüstung war tatsächlich noch in dem hohlen Stamm.
Ich band mir die versteckte Rückenscheide unter den Mantel und
verstaute mein Bannschwert darin. Dann steckte ich mir meinen
Insektenring an den Finger. Dann fand ich die kleine Phiole mit dem
recht minderwertigen Zaubertrank. Aber immer noch das Beste das ich
selbst mit meiner bescheidenen Ausrüstung hinbekommen hatte.
Eigentlich war es für Notfälle gedacht, aber wenn
dies hier kein Notfall war? Immerhin würden meine astralen
Kräfte sich nach dem langen Kontakt mit dieser Menge an Eisen
noch mindestens eine Woche lang nicht regenerieren.
Kurzerhand stürzte ich den leicht metallisch schmeckenden
Inhalt hinunter. Zum ersten Mal seit langem spürte ich wie die
Macht der Magie mich wieder durchfloss. Ich musste jedes bisschen
Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht sofort sinnlos los zu zaubern.
Fast ein Viertel meiner astralen Kraft hatte ich in den letzten Jahren
in Artefakte, Untote und Golem-Experimente gesteckt. Es wurde
höchste Zeit mir die Ruhe zu gönnen um durch die
entsprechenden Übungen meine astrale
Speicherkapazität wieder auf ihren Normalzustand zu bringen.
Irgendwie ahnte ich jedoch, dass ich dazu noch lange keine Zeit finden
würde.
Den Abend verbrachte ich damit einige der Studiennotizen, die ich mir
mittels des Memoran Cantus eingeprägt hatte, wieder
zu Papier zu bringen. Es brauchte zwei Anläufe, dann traten
die Linien der Thesis endlich dreidimensional aus dem Papier. Ich
studierte sie eingehend und rief mir die Lehrstunden in Punin in
Erinnerung. Nach einiger Zeit war ich mir sicher die
Herbeirufungsformel korrekt eingeprägt zu haben. Geisterruf.
Wieder eine neue Kategorie verbotener Magie in den Augen der
verblendeten Weißmagier. Außer dem Bau von
Chimären beherrschte ich nun alle verbotenen Künste.
Dieses Fachgebiet ließ ich jedoch bewusst aus.
Chimärenbau war nur Pfuscherei wenn man nicht die Kenntnis von
Zurbarans Tinktur hatte, ein entsprechend ausgestatteten
Forschungslabor mit zoologischen Unterkünften,
Käfigen, Alchemielabor und schier unbegrenztem Zugriff auf die
entsprechenden Zutaten und Studienobjekte hatte. Außerdem
schienen die Subjekte die ich bisher studieren konnte, gelinde
ausgedrückt nicht sehr begeistert von ihren Verbesserungen zu
sein. Pflanzenzucht wäre das einzige Feld in diesem Gebiet das
mich interessieren würde. In Selem gibt es einen Baum der ein
Dutzend verschiedene köstliche Früchte
trägt. Dritte oder vierte Chimärengeneration, daher
völlig ohne daimonide Eigenschaften oder Schwächen.
Ich hoffte jedoch immer noch dass der neue verbesserte
Agrimoth-Haselbusch Cantus ähnliche Ergebnisse bringen konnte.
06. Rahja 1029 BF
Die Gerüche aus der Küche waren zur Mittagsstunde
nicht sehr vielversprechend. Hatte Murtak die Hühner zusammen
mit den Federn gebraten? Wie sich herausstellte hatte er genau das
getan. Vom Geruch abgesehen war es allerdings essbar. Nachdem man die
Federreste weggekratzt hatte...
Kurz nach dem Essen ertönte ein lautes Donnern aus dem Keller.
Helmbrecht und Murtak stürzten sofort die Treppe hinunter. Ich
kam kaum hinterher. Niam kam erst nach mir unten an, jedoch nur weil
sie unterwegs noch eine Armbrust holte und spannte. Unten fanden sie
einen Mann der aus dem Zugang zur Kanalisation herausgekrochen war. Es
waren einige kritische Momente bis unsere Krieger den
Neuankömmling in der stockfinsteren Dunkelheit
begrüßt hatten. Sie schafften es ohne ihn
niederzustechen, was sie aber sichtlich Mühe kostete.
Es war kein sehr beeindruckender Mann der da ins Licht trat. Nackt und
so dreckig als hätte man ihn einige Meilen durch die
Kanalisation gezerrt. Dazu wilde ungekämmte Haare. Und er roch
sogar bis ins Erdgeschoss hoch nach Rauch und Exkrementen.
Eine kurze Konzentration enthüllte mir seine magische Aura.
Etwas stärker als meine eigene, aber wilder, weniger klar
strukturiert. Entweder ein Hexer oder ein Druide. Nachdem er
verkündete, dass sein Name „Raun“ war und
Travin ihn geschickt hätte, bot ich an seine Kleidung zu
holen. Während alle anderen ihn unten beobachteten, ging ich
nach oben. Als ich seine Robe holte, fiel mein Blick auf den Goldbeutel
der wie unsere auf seiner Ausrüstung lag. Ich würde
viel Gold brauchen um die Ausrüstung für
meine Experimente und Arbeiten wieder zusammen zu kaufen. Mehr als ich
hatte. Andererseits gehörte es sich nicht seine
Gefährten zu bestehlen...
Aber alleine die Mengen an Papier die ich brauchen würde um
meine Notizen aus dem Zweitstudium aus dem Gedächtnis wieder
herunterzuschreiben...
Ich entfernte schnell die Hälfte der
größeren Münzen und ersetzte sie durch eine
etwa gleichschwere Menge Kreuzer und Heller. Der Beutel war noch gleich
prall, enthielt aber nur noch etwas über den halben Wert. Zum
Glück konnten Druiden vermutlich sowieso nicht zählen.
Unten begrüßte ich unseren Neuankömmling,
führte ihn den Hinterhof und ließ ihn sich erst mal
in Ruhe waschen. Dann zeigte ich ihm unter den wachsamen Augen Niams,
die ihre Armbrust erst nach einiger Zeit weglegte, das Haus.
Während der folgenden Besprechung erzählte er uns
seine Geschichte. Er war Al‘Raun, der Druide.
Natürlich kannte ich diesen Namen sofort. Der Vampir vom
Südviertel! Der Wundarzt der heimlich Menschen aufgeschnitten
hatte um ihr Inneres zu erforschen und der ihr Blut getrunken und
Fleisch gegessen hatte. Letzteres war natürlich nur
Geschwätz des Pöbels. Ein wahrer Forschergeist und
eine Koryphäe auf dem Gebiet der Anatomie. Man hatte
Auszüge seiner Notizen vor dem Praiostempel vorgelesen bevor
man sie verbrannt hatte. Ich hatte mich sehr geärgert, dass
ich seine dazugehörenden Skizzen nicht hatte sehen
können.
Heute zur Praiosstunde hatte man ihn ebenfalls auf einen Scheiterhaufen
gestellt und angezündet. Es gab weit mehr Rauch als man von
einem ordentlichen Scheiterhaufen erwartet hätte, dann wurde
er plötzlich mit einem Paralysis unverwundbar gemacht und
durch eine versteckte Falltür nach unten aus dem
Scheiterhaufen gerettet. Travin hatte ihn ebenfalls angeheuert und zu
uns geschickt. Beziehungsweise ihn paralysiert und dann von zwei
Zwergen bis zu unserem Haus durch die Kanalisation zerren lassen. Damit
war geklärt, dass wir eine vorzügliche unterirdische
Verkehrsanbindung hatten. Niam meckerte mehrfach darüber, dass
der Riegel der Falltür offen gewesen war, aber den konnte
Travin durchaus auch von unten mit einem einfachen Zauber
geöffnet haben. Wir schoben später noch eine schwere
Kiste auf die Falltür damit weitere unangekündigte
Besucher es etwas schwerer haben würden.
Er schien mir gegenüber einige Vorbehalte zu haben und
äußerte sich mehrfach recht zweideutig über
Magier im Allgemeinen. Aber wenn er nur die Garether Magier kannte
konnte man ihm das nicht verübeln. Außer dem Freien
Zirkel der Wissenschaften gab es hier in der ganzen Stadt keine
Freidenker.
Niam zuckte währenddessen jedes Mal zusammen wenn wir Travins
Namen erwähnten. Dies sei zu gefährlich, da uns doch
jemand belauschen könnte. Sie schlug vor seinen alten
Decknamen „Gänsefeder“ zu verwenden. Ich
konterte dies mit „Mutter Gans“ und alle lachten
bis die Tränen kamen.
Wir wollten uns zuerst wieder unserer Aufgabe zuwenden. Niam sollte das
Haus des Barbiers durchsuchen während die Krieger in der
Gaststätte gegenüber für etwas Aufsehen
sorgen sollten. Und notfalls auf ein Signal hin eine zünftige
Schlägerei anzetteln.
Niam klapperte eine ganze Weile hinter ihrem Vorhang herum, dann kam
sie deutlich verändert wieder hervor. Ihr Gesicht war von
tiefen Falten zerfurcht und das Haar grau und schütter. Murtak
stürmte hin und suchte hinter dem Vorhang verwirrt nach
„dem verschwundenen hübschen
Mädchen“.
Ich sah mir ihr Gesicht eine Weile genau an, dann konnte ich den
typischen Geruch endlich einordnen. Nicht mehr lange, und er
würde verflogen sein. Aber noch konnte man das Gummi Arabikum
in einer wässrigen Lösung riechen das gerade
trocknete und ihre Haut dabei zusammenzog. Genial! Sie schmierte dann
noch etwas Fett darauf damit es nicht riss und darüber dann
Puder um den Fettglanz zu vertuschen.
Ich hielt mit Rodrigo zusammen Wache an einer Straßenecke in
der Nähe. Niam kam unbemerkt in das Gebäude und auch
wieder hinaus. Kurz bevor sie das Signal pfiff dass alles in Ordnung
war, brach in der Kneipe Unruhe aus. Unsere Krieger prügelten
sich erst quer durch die Anwesenden, dann stürzten sich die
beiden aufeinander. Ein großer Kreis von Schaulustigen
sammelte sich in gehörigem Abstand als die beiden
Schläge austauschten, mit denen man normalerweise Ochsen
betäubte. Ich und der Leichenschänder waren
beeindruckt. Die beiden waren so überzeugend, dass man
wirklich meinen konnte sie wollten sich wirklich gegenseitig umbringen.
Der über einen Kopf kleinere Mann der dem Riesen Paroli bot
erntete nicht wenig Beifall. Dann jedoch ertönten Warnrufe.
Die Waisenmacher kamen. Wir versteckten uns in einer Seitengasse
während Helmbrecht dem Wirt ein paar Münzen zu
schnipste und sich dann in eine andere Richtung als Murtak
verdrückte.
Abends besprachen wir Niams Funde. Jemand hatte das Gebäude
aufs Gründlichste durchsucht. Nur das von dem KGIA Barbier in
einem professionellen Geheimfach versteckte Kode-Buch hatte sie finden
können.
Nach einigem Hin und Her konnten wir uns dann noch erinnern, dass am
Haus keine Schutzzinken angebracht waren. Fast alle Häuser in
den umliegenden beiden Straßenzügen standen unter
dem Schutz der „Tobrier“. Dieses Haus jedoch nicht.
Das konnte nur bedeuten, dass die Tobrier etwas damit zu tun hatten.
Wir mussten also an einen ranghohen Gauner herankommen. Der Einzige den
wir kannten war der einarmige Geldeintreiber.
07. Rahja 1029 BF
Niam warf sich wieder in Schale, schnürte ihr Mieder eng und
polstere es an den richtigen Stellen aus. Dann ließ sie sich
in der Lieblingskneipe des Schlägers als
Serviermädchen anheuern. Jedes Bier der Tobrier bekam
daraufhin heimlich noch einen Schnaps gratis hinein. Als Eisenarm mit
seinen vier Kumpanen die Straße hinab wankte, waren sie kaum
noch in der Lage zu gehen. Dann schlugen wir zu!