Aus dem Tagebuch des Magus Consultatoris Rodrik Bannwäldner
Beratender Magus zu Fragen schwarzmagischer Phänomene und
deren Bekämpfung
Praios 1030 BF
Honingen
Nachdem wir uns von dem Probespiel erholt hatten, hielten wir eine
kurze Lagebesprechung ab. Helmbrecht war ungewöhnlich wortkarg
da er sich grässliche Kopfschmerzen zugezogen hatte. Er zog
sich daher frühzeitig zurück und wollte nur noch
seine Ruhe haben. Raun war fasziniert von den vielen Verletzungen die
er in so kurzer Zeit so direkt mit ansehen durfte und würde
die nächsten Stunden damit verbringen Skizzen anzufertigen.
Der Rest von uns beschloss erst einmal mit den Honinger Wölfen
zusammen durch die Stadt zu ziehen um unauffällig die Lage zu
erkunden.
Das Gauklerfest war in vollem Gange. Die Straßen quollen
über vor Gästen, Verkäufern, Akrobaten und
Gauklern. Jede bekannte Gauklertruppe Aventuriens schien sich hier
versammelt zu haben. Sogar die da Merinals, die berühmte
adlige Artistenfamilie aus dem Lieblichen Feld war da. Ich erinnerte
mich noch gut an die Geschichte unserer Spektabilität DeLinth
der eine frühere Rückkehr des
Dämonenmeisters verhindert hatte, indem er den Sohn ihres
Sippenältesten Colon da Merinal tötete bevor dieser
Wirt für den Geist Borbarads werden konnte.
Die dichteste Menschenmenge war aktuell um eine Gruppe tanzender Zahori
versammelt. Die schlanken, braun gebrannten Tänzerinnen waren
ein atemberaubender Anblick. Leider wussten wir genug, dass wir unsere
Geldbeutel auch gleich freiwillig wegwerfen hätten
können, statt uns da hinein zu quetschen. Ein wahres Paradies
für Taschendiebe.
Stattdessen hängte ich mich an Brinja und lud sie zu einem
Wein am Marktplatz ein. Ich ließ meinen Charme blitzen und
dachte schon ich könnte bei ihr landen. Doch ich merkte
schnell, dass sie nur nett sein wollte. Rondrigo dagegen
versprühte seinen almadanischen Charme in ungeahnter Weise und
umgarnte Neowen derart wortgewandt, dass ihm eine Weile noch ein paar
umstehende Frauen hinterher schmachteten die nur ins Randfeld seines
Säuselns geraten waren. Wie verdammt nochmal machte er das?
Ob ich mir auch einen Schnauzbart wachsen lassen sollte...?
Als ich mich von Brinja verabschiedete um Murthakh hinterher zu rennen
der gerade seinen „Muss jemand verdreschen Blick“
bekommen hatte, merkte sie es kaum.
Ich sah mich hektisch um. Hatte ihn jemand beleidigt? Nein... er wirkte
eher gelangweilt aggressiv. In einer Seitengasse konnte ich gerade
einen Überfall auf einen alten Mann durch
Straßenkinder beobachten. Schnell erzählte ich
Murthakh, dass die Halbstarken den alten Mann „dumm wie ein
Trollzacker“ genannt hätten. Sofort stürmte
er los, kam aber zu spät. Die Täter waren
längst in der Menge verschwunden. Murthakh wurde immer
gereizter. Demnächst würde er sicher wieder in eine
Kneipe stampfen und dem nächstbesten Kerl eine in die Fresse
hauen. Das traditionelle Trollzacker Freizeitverhalten. Es musste doch
einen Weg geben wie er sich sinnvoll abreagieren konnte... Dann fiel
mein Blick auf den „Großen Zambudi“.
Einen 1,8 Schritt großen muskelbepackten Riesen der im engen
Lendenschurz und ansonsten nur mit einer dünnen
Ölschicht bekleidet auf einer Tribüne stand und
Passanten aufforderte es mit ihm auf zu nehmen. Gold und Ehre
demjenigen, der drei Runden gegen ihn bestehen konnte. Bevor ich
unseren Trollzacker erreichen konnte, hatte er den Kerl selber schon
gesehen. Seine Augen leuchteten auf wie die eines Kindes am Tsatag.
Auch der Riese freute sich sichtlich auf einen würdigen
Gegner. Er ließ sich auf den letzten Kerl der ihn
herausgefordert hatte kurzerhand drauffallen, warf den sofort
Bewusstlosen achtlos aus dem Ring und winkte einem der Ausrufer die die
Kandidaten managten. Sofort stimmte dieser ein lautes Geschrei an und
kündigte: „Den Riesen aus dem Norden“ an,
der den weiten Weg aus den Barbarenlanden einzig und allein gekommen
sei um sich mit dem „Großen Zambudi“ zu
messen.
Murthakh musste man nicht zweimal bitten. Niam und ich
stürmten los. Sie zum Buchmacher, ich zum nächsten
Ölhändler. Ich besorgte eine Flasche
Olivenöl, rannte zurück und organisierte eine der
Zuschauerinnen die sich gerne bereit erklärte den
muskulösen Riesen einzuölen. Murthakh war zwar erst
etwas irritiert, akzeptierte die Behandlung dann aber nach einem Blick
auf seinen ölglänzenden Gegner.
Ich setzte gleich zwei Silber darauf, dass er niemals aufgeben
würde, da das für mich absolut sicher war und nochmal
zwei Silber auf den Sieg meines Gefährten.
Dann begannen die beiden ihren Kampf. Murthakh war zwar einen Kopf
größer, Zambudi jedoch der deutlich
geübtere Ringer. Murthakh entkam nur mit brachialer Kraft
einem Haltegriff nach dem anderen. Und immer wieder schaffte er es
dafür dem Ringer einen heftigen Schmetterschlag zu verpassen.
Dann geriet er in einen Würgegriff. Ich fürchtete
schon um meine zwei Silber, dann donnerte Murthakh seinen
Schädel voll gegen den seines Gegners und beide fielen
auseinander. Nun versuchte es Zambudi mit einem
Handstand-Überschlag bei dem er Murthakh mit den Beinen in den
Würgegriff nehmen wollte. Dieser fing die Beine jedoch mit
seinen großen Pranken ab, hob mit einem unglaublichen
Kraftakt den hundert Stein schweren Ringer hoch und begann sich dann
zuerst langsam, dann immer schneller zu drehen. Zambudi griff wild mit
den Händen um sich um irgendwo halt zu finden, doch
vergeblich. Als Murthakh genug Schwung aufgebaut hatte, schleuderte er
den Ringer mit einem letzten Kraftakt aus dem Ring. Der Jubel der Menge
war atemberaubend und ich kassierte grinsend meinen Gewinn. Dabei
gabelte ich noch eine nette Zuschauerin auf die schon ein wenig
angetrunken war. Wir suchten uns einen kleinen Stehtisch am Rande des
großen Marktplatzes und warteten auf die eben
angekündigte Hochseilnummer. Ein Seil war in zehn Schritt
Höhe über den ganzen Platz gespannt. Ein Ausrufer
pries den Artisten als „Wahren
Nordmärker“... ein absichtlich nationalistischer
Kommentar. Die Hälfte der Zuschauer die auf Seiten der
Besatzer stand jubelte, die Einheimischen buhten dagegen protestierend.
Die Stimmung begann zu schwanken. Das konnte kein Zufall sein. Das war
zu gut formuliert und zeitlich abgestimmt. Meine Gedanken rasten. Was
würde ich nun tun um einen Aufstand anzuzetteln... ich
würde den Artisten angreifen. Ein Bogenschütze
oder... das Seil!
Durch die Menge hindurch hatte ich jedoch keine Chance zu einem der
Seilenden zu kommen, die am Boden vertäut waren. Eine
hektische Bewegung in der sonst größtenteils zum
Stillstand kommenden Menge erregte meine Aufmerksamkeit: Ich erkannte
Niam, die sich blitzschnell durch die Menschenmassen drängte,
deutlich auf das rechte Ende des Hochseiles hin. Sie hatte wohl die
gleiche Idee gehabt. In einer idealen Welt wäre nun noch
Rondrigo zum anderen Ende unterwegs, während ich die Menge im
Auge behalten konnte. Aber Rondrigo verschwand eben mit der Hand fest
an Neowens Hintern mit dieser in einer engen dunklen Seitengasse.
Die Menge schrie auf als das Seil plötzlich schlaff wurde. Der
Artist stürzte hilflos auf das Kopfsteinpflaster und prallte
mit einem lauten Knacken auf.
Ein Blick auf meine plötzlich nüchterner und
betroffen wirkende Gefährtin überzeugte mich, dass
die Stimmung hier unwiderruflich den Bach runter war. Ähnlich
ging es der ganzen Menschenmenge. Dann hörten wir Rufe:
„Sie war es! Sie hat das Seil durchgeschnitten!“
Kurz darauf sahen wir eine verwirrt wirkende junge Frau die von den
Stadtgardisten hergeschleppt wurde. Zwei unsympathische Kerle
beschuldigten sie laut des feigen Mordes. Das war viel zu glatt. Hier
stimmte etwas nicht! Und die Geschichte die sie erzählten...
Ich kämpfte mich zu den Wachen durch. Die Stadtgardisten
hatten unter Einsatz ihrer Hellebarden dafür gesorgt, dass
sich ein freies Plätzchen um die
„Täterin“ und die beiden Zeugen gebildet
hatte.
Ich trat selbstbewusst vor und versuchte dem Offizier die Unlogik
dieser Geschichte zu erläutern: Diese Frau konnte
unmöglich das dicke Seil mit ein paar Hieben mit einem Dolch
durchtrennt haben. Sie hätte eine ganze Weile daran
säbeln müssen. Leider hörte mir der Dummkopf
gar nicht zu und meinte nur ich würd die praiosgefällige Rechtsfindung
durch Tatsachen Behindern. Ich könne bei der Gerichtsverhandlung ja für sie aussagen wenn ich etwas
beizutragen hätte.
Später berichtete Niam noch, dass die beiden Zeugen nicht die
Täter gewesen sein konnten, da sie zu weit weg gestanden
hatten, als das Seil durchtrennt wurde. Niam war trotz ihres
frühen Starts nicht rechtzeitig heran gekommen um den wahren
Täter zu sehen. Zum Tatort hatte sie noch ein Zelt getrennt.
Sie hatte jedoch die „Zeugen“ gesehen, die
verdächtig schnell reagiert und einen
„Täter“ ausgemacht. Dabei war die Frau
viel zu weit weg vom Seil gewesen. Wir gingen hinüber um das
Seil zu untersuchen. Der längere Teil war von den Stadtwachen
mitgenommen worden, aber das andere Ende hing noch an einem im Boden
verankerten Ring. Das Seil selbst war durchgeschnitten, aber erst als
wir eine Kerbe in der Zeltstange dahinter in der richtigen
Höhe fanden, wurde klar das hier jemand ein Haumesser oder
eine Axt verwendet haben musste. Aber mit Sicherheit keinen Dolch.
Murthakh säbelte mit Mühe ein Stück des
restlichen Seiles noch einmal mit einem Dolch durch. Das Ergebnis war
eine deutlich ausgefranstere Schnittkannte als am anderen Seilende.
Wir berieten uns noch eine Weile, dann wollte ich aufbrechen um mich zum
nächsten Bordell durch zu fragen. Ich benötigte
dringend ein wenig Entspannung wenn ich hier nicht aus reiner
Frustration demnächst einen Laaran beschwören sollte.
Ich beschloss bei der Gerichtsverhandlung, die in einigen Tagen
stattfinden würde, auszusagen. Nicht dass mich die Angeklagte
interessiert hätte, aber der wahre Täter
würde entkommen wenn sie schuldig gesprochen wurde. Und die
Stimmung in der Stadt würde sich dadurch mit Sicherheit
verschlechtern.
Ich hatte Niam als Zeugin das die Täterin nicht direkt am
Tatort war, Beweise, dass das Seil eindeutig nicht mit einem Dolch
durchtrennt wurde und zuletzt noch die Tatsache, dass die
Täterin weder einen Dolch bei sich trug noch wir einen in der
Nähe hatten finden können.
Das Größte Problem würde also werden
jemanden zu finden dem es sich lohnte die Sache in die Schuhe zu
finden. Vorzugsweise den echten Täter, aber da dies keine
perfekte Welt ist, würde es auch jeder andere tun.