Aus dem Tagebuch des Magus Consultatoris Rodrik Bannwäldner
Beratender Magus zu Fragen schwarzmagischer Phänomene und
deren Bekämpfung
05. Praios 1030 BF
Honingen
Während wir die Lage diskutierten, kamen immer neue Theorien
auf. Am logischsten erschien uns, dass die Verwundeten sich in der
kleineren Gruppe auf dem kürzesten Weg auf den Heimweg gemacht
hatten, während der Rest mit einem großen Umweg zum
Lager der Gratenfelser Soldaten zurück kehrte. Offensichtlich
wollte man den Kreis der in die Aktion „Diskriminiert die
Blauen Füchse“-Eingeweihten möglichst klein
halten.
Während wir die Umgebung nach weiteren Hinweisen absuchten,
fanden wir an einem kleinen Waldsee zwei weibliche und drei
männliche Soldaten die sich nackt im Wasser
vergnügten. Die Frauen waren deutlich zu alt für
unseren Geschmack, daher zogen wir uns schnell zurück. Niam
konnte allerdings nicht widerstehen eine der Uniformen samt Schwert und
Rüstung zu stehlen. Ich fälschte mit schellen
Federstrichen eine Botschaft aus Gratenfels die ich nach Helmbrechts
Anweisung mit militärischen Fachausdrücken und
Abkürzungen schmückte. Damit marschierte Niam in der
Rüstung der Soldatin einfach zum Tor herein und behauptete
eine Botin aus Gratenfels zu sein. Über eine Stunde
später kam sie wieder heraus. Genau als sie sich noch von den
Wachen verabschiedete und versprach einem bestimmten Wirt in Gratenfels
noch einen Gruß auszurichten, galoppierte eine Reiterin
heran. Eine Soldatin mit einem Kind in blutgetränkter Kleidung
vor sich auf dem Sattel!
Sie war sichtlich bestürzt und aufgeregt und erzählte
so laut, dass man es bis zu unserem Versteck verstehen konnte, dass die
blauen Füchse die Imman-Mannschaft der Vairninger Schwalben
überfallen und brutal abgeschlachtet hätten. Nur der
kleine Junge hatte überlebt und sich ins Gebüsch
davon geschlichen. Sie hatte ihn auf dem Weg zufällig im
Gebüsch liegen sehen.
Niam hob den Jungen vorsichtig vom Pferd und übergab ihn den
Wächtern, die ihn dann eilig zum Medicus trugen. Niam
verabschiedete sich hastig und kam schnell zu uns zurück.
Sie hatte noch aus der Botin herausgeholt wo sich dieser
Überfall ereignet hatte. Ich dachte nun natürlich,
dass sofort Soldaten losreiten würden, aber Helmbrecht
widersprach. Zum ersten wussten die Kommandanten des Lagers sicher von
den „Blauen Füchsen“, zum anderen war es
üblich auf solche Überfälle mit einer
Patrouille mit mindestens einem Halbbanner zu reagieren. Weniger
könnten in einen Hinterhalt geraten und aufgerieben werden.
Und dafür waren in der Kaserne aktuell schlicht zu wenig
Soldaten. Sie würden abwarten müssen bis andere
Patrouillen zurück kamen oder sie Verstärkung aus
Honingen holen konnten. Wir hatten also ein paar Stunden Zeit uns das
vorher anzusehen.
Niam hatte noch von dem Jungen erfahren, dass es sich bei den
Vairninger Schwalben um eine Mannschaft aus dem reichstreuen Gebiet
gehandelt hatte. Wenn sich herum sprach, dass die Rebellen diese
abgeschlachtet hatten... Bürgerkrieg. Das Blut würde
kniehoch in den Straßen fließen... Mutter Gans
würde uns mit seinen großen traurigen Augen
enttäuscht anschauen... und uns dann aufhängen
lassen.
Wir eilten durch den Wald zurück in die Stadt. Helmbrecht
hatte bestimmt, dass wir Pferde brauchen würden um insgesamt
schneller am Tatort zu sein und von dort aus auch ggf. für
eine Verfolgungsjagd ausgerüstet zu sein. Bei einem Eilritt
sah ich mit meinen eher bescheidenen Reitkünsten ein echtes
Problem. Daher vereinbarte ich mit den anderen mir kein Pferd
mitzubringen. Ich ging mit Rodrigo dann schnell die Ausrüstung
aus der Villa holen. Insbesondere die Windenarmbrust und meinen Stab
sowie meinen Wanderrucksack. Wir trafen uns ein Stück vom
Stadttor entfernt am Waldrand wo Helmbrecht mich misstrauisch anstarrte
und wartete, dass ich ihm erklärte wie ich mit den anderen
Schritt halten wollte. Ich bemerkte, dass ich vermutlich mit Murthakh
riesigem Kaltblüter, einem Tier das normalerweise Ochsenkarren
zog und als einziges groß genug für den Trollzacker
war, auch zu Fuß schritt halten konnte. Dann beruhigte ich
die anderen, dass sie mit dem Zauber den ich benutzen würde
sicher nichts einzuwenden haben würden. Es war ein Zauber den
ich von den Elfen während der Belagerung von Armida gelernt
hatte. Ich blies einen hellen Pfiff auf meinen Fingern und rief dann
laut in der albernen Singsangstimme der Elfen:
„Valva’sa mandra ya’dha fey!“
Die Worte verklangen unnatürlich langsam und das Echo schwang
scheinbar langsam in das Unterholz davon. Als erst nichts geschah
begann Murthakh schon zu murren, doch dann trat ein strahlend
weißes Pferd mit goldenen Hufen
majestätisch hinter einem Baum hervor. Es sah mich aus
großen blauen Augen freundlich an und senkte vor mir
auffordernd den Kopf. Sobald ich meine Hand in seine strahlende
Mähne vergrub flog ich praktisch von alleine auf seinen
Rücken wo ich ohne Sattel bequemer und sicherer saß
als auf einer Sänfte.
Technisch gesehen war es eine Beschwörung, aber ich war
jederzeit bereit zuzugeben, dass das Feenross deutlich angenehmere
Gesellschaft war als jeder Dämon.
Als ich die Elfen bat mir den Zauber zu zeigen und Stunden damit
verbrachte die Aussprache der Formel zu üben, hatte ich
allerdings noch gedacht, dass die in alten Schriften erwähnte
Beschwörungstechnik: „Geber der Gestalt“
mir später ermöglichen würde damit ein
geflügeltes Ross oder einen Reitadler zu beschwören.
Als man mir in Brabak erläuterte, dass man damit nur die
Eigenschaften der beschworenen Kreaturen ändern konnte, nicht
jedoch die ursprüngliche Form, war ich recht
enttäuscht gewesen.
Wir ritten den Waldweg entlang. Murthakh trieb sein armes Pferd
pausenlos mit Knuffen und Flüchen an. Ich konnte einmal
regelrecht sehen wie das Pferd überlegte ihn ab zu werfen,
aber er legte eine seiner großen Pranken um den Hals des
Kaltblüters und dieser beschloss klugerweise keinen Streit
anzufangen.
Nach einer knappen Stunde kamen wir an der Schlucht an, in der die
verfallene Ruine lag wo der Überfall stattgefunden hatte. Das
letzte Stück stiegen wir ab und schlichen durchs
Gebüsch bis zum Waldrand um uns erstmal einen
Überblick zu verschaffen. Oben am Rand der Schlucht
führte der Weg von Vairningen nach Honingen vorbei. Daneben
lag die Schlucht und unten die verfallene Ruine mit dem einzelnen Turm,
der einst ein Boronkloster gewesen sein sollte.
Einen der Wagen der Mannschaft konnten wir von oben noch sehen. Daneben
lagen einige Leichen. Wie der Junge erzählt hatte, war die
komplette Reisegruppe niedergemetzelt worden und dann hatte man die
Leichen samt den Wagen in die Schlucht geworfen.
Was für einen Vorteil sich die Nordmärker dadurch
versprachen war mir völlig schleierhaft. Ich konnte verstehen,
dass sie den Rebellen die Unterstützung der
Bevölkerung entziehen wollten, aber das hier ging drei Stufen
zu weit.
Dann grummelte Murthakh etwas darüber das diese Weicheier
schon beim Anblick des verletzten Imman-Spielers weiche Knie bekommen
hatten und gar nicht die Eier hatten um so ein glorreiches Blutbad
anzurichten. Einen Moment sahen wir uns alle gegenseitig an. Dann
verstanden wir es praktisch alle Gleichzeitig: Das WAR gar keine
Absicht gewesen. Deswegen gab es auch so wenig Sinn. Die
„Blauen Füchse“ hatten ein paar Reisende
überfallen wollen und geplant sie wie uns gestern
kräftig zu verprügeln. Aber statt an einen Haufen
harmlose Reisende waren sie ausgerechnet auf die recht spät
eintreffende Imman Mannschaft getroffen. Praktisch
Berufsschläger die sich das nicht hatten gefallen lassen. Bei
der sicher überraschend heftigen Gegenwehr hatte es dann auf
beiden Seiten Verletzte gegeben. Dann Tote. Und dann war das Ganze
völlig aus dem Ruder gelaufen und am Ende hatten die
Schläger mit den Holzschlägern gegen die
Schläger mit den scharfen Waffen verloren.
Rodrigo entdeckte mindestens vier Wachposten in dem Kloster. Ein
Hinterhalt? Helmbrecht meinte sie würden vermutlich entweder
nicht wissen dass jemand entkommen war, oder hoffen dass ihre Kameraden
aus dem Lager kamen. Das gäbe dann zwar auch Ärger,
aber keinen Kampf. Schlimmstenfalls würde die Gruppe innerhalb
der Armee auffliegen, die sich diesen „tollen“ Plan
ausgedacht hatte. Vermutlich konnten sie aufgrund der zahlreichen
Verletzten auch vorerst gar nicht weg.
Jetzt war guter Rat teuer. Die Wahrheit durften wir nicht aufdecken.
Aber die Geschichte, dass die Blauen Füchse die Vairninger
Schwalben getötet hatten, durfte auch nicht verbreitet werden.
Beides würde Unruhen auslösen. Wir konnten
höchstens die Täter töten und die Uniformen
der Blauen Füchse verschwinden lassen. Dann konnten wir es
gewöhnlichen Straßenräubern anlasten.
Blieb nur einen Plan zu schmieden, wie wir an das gut zu verteidigende
Kloster ran kamen. Durch das freie Schussfeld kam ein offener Angriff
nicht in Frage.
Niam wollte hinschleichen und die Schützen oben auf dem Turm
erledigen. Helmbrecht und Murthakh würden hochstürmen
nachdem die Magier für Ablenkung gesorgt hatten. Wie wir das
machen sollten, überließ Helmbrecht uns.
Raun begann aus Wachs und einigen Blutstropfen der Räuber, die
er unterwegs an Sträuchern gefunden hatte, eine Figur
herzustellen mit der er einen der Räuber unter seine
Herrschaft zwingen wollte.
Ich zog mich ein Stück in den Wald zurück wo mich
keiner meiner Gefährten sehen konnte. Helmbrecht behielt das
Kloster im Auge und feilte an unserer Taktik. Rodrigo bastelte mit der
muskelkräftigen Hilfe von Murthakh aus drei Bäumen
improvisierte Schleudern und lud sie mit brennbarem Gestrüpp,
einem Sack mit drei Bienennestern darin und einem Haufen scharfkantigen
Steinen.
Ich zog zum ersten Mal seit langem wieder eine schwarze
Beschwörungsrobe an, zog die Schuhe aus und hob mein
Bannschwert. Mit sicheren Bewegungen zeichnete ich ein Heptagramm mit
dem Bannschwert in den Waldboden und murmelte leise den Wahren Namen
von Nepphaz, dem niederen Diener Thargunitoths. Ein vages Schemen
erschien in der Luft vor mir. Ich befahl ihm, sich auf das Stichwort
„Die Toten erheben sich“ ungesehen in die Schlucht
zu begeben und dort denjenigen Leichnam zu untotem Leben zu erheben,
der den kampfkräftigsten Untoten ergeben würde. Dann
sollte er sich zwei Immanschläger greifen und unter lautem
Rufen und Stöhnen den Hang hochstürmen. Dort sollte
er jeden Bewaffneten angreifen. Ich benutzte die über
Jahrhunderte ausgefeilten und unter Dämonologen
überlieferten Formulierungen um ihm ein Verdrehen meiner Worte
möglichst schwer zu machen. Dann wies ich noch darauf hin,
dass er weder mich noch einen meiner Gefährten angreifen
dürfe. Ich dachte sogar an die klassische Schlussformel:
„Und sonst tue gar nichts!“, um zu verhindern dass
er seinen Auftrag eigenmächtig erweiterte. Berüchtigt
waren hier vor allem Dämonen des Blakharaz, die gerne noch ein
paar Unschuldige unterwegs „kostenlos“
töteten und Dämonen der Mishkara, die einem fast
immer noch eine Seuche als Bonus hinterließen wenn man ihnen
dies nicht untersagte.
Um ihm seine Aufgabe zu erleichtern, hatte ich ihm im Zuge der
Beschwörung die Fähigkeit verliehen einen
unglaublichen Gestank zu verbreiten und den Untoten gegen Stichwaffen
unverwundbar zu machen. Pfeile und Bolzen konnten ihn nun nicht mehr
schrecken.
Um meine Kollegen nicht auf dumme Gedanken zu bringen, zog ich mich
wieder um und stopfte die Robe in den Rucksack zurück.
Dafür wickelte ich meinen Golemstab aus der Decke aus und nahm
ihn mit.
Helmbrecht, Murthakh und Niam kletterten weit außerhalb der
Sichtweite des Klosters die Schlucht hinab und schlichen sich in
Angriffsposition.
Als die Nacht die Dämmerung ablöste, schwirrte
Rodrigos brennender Dornenbusch aus dem Katapult ins feindliche Lager.
Dies war das verabredete Zeichen für unseren Angriff! Ich rief
laut und voll gespieltem Entsetzen: „Seht, dort unten in der
Schlucht! Die Toten erheben sich! Die Geister der Erschlagenen
rächen sich an ihren Mördern!!“
Fast sofort erhob sich die Leiche eines großen und
kräftigen Kerls, zog zwei Immanschläger aus den
Trümmern und wankte den Hang hoch. Kurzbogenpfeile trafen ihn
wirkungslos. Dann stand er vor dem ersten der falschen Blauen
Füchse, der ihn nur ungläubig anstarrte als der
Untote mit beiden Schlägern gleichzeitig ausholte und mit
einem lauten, hohl klingenden „Doppel-Esche!“
zuschlug.
Raun neben mir starrte seine kleine hässliche Wachspuppe an
und rief leise: „Hass!“
Sofort wurde aus dem Kloster Geschrei laut als einer der
Räuber durchdrehte und sich mit einem Dolch auf seine
Kameraden stürzte.
Dann stürzten nacheinander die nächsten Geschosse von
Rodrigo’s improvisierten Katapulten auf das Kloster zu,
verfehlten es aber beide.
Schon rasten Helmbrecht und Murthakh los und stürmten den Hang
zum Kloster hoch. Die Bogenschützen im Kloster waren in einen
Kampf mit dem Untoten verwickelt. Einer floh, einer erbrach sich als er
von dem Gestank des Untoten übermannt wurde.
Niam konnte ich mal wieder nirgends sehen, aber da vom Turm aus keine
Pfeile angeflogen kamen, hatte sie die Bogenschützen dort wohl
erfolgreich ausgeschaltet.
Ich und Raun schlichen eilig hinunter um notfalls noch in den Nahkampf
eingreifen zu können. Murthakh stürzte sich, gerade
als wir ankamen auf die nach Knoblauch stinkende Anführerin
unserer Gegner. Er trennte ihr den Arm mit seiner Axt ab. Sie versuchte
ihn mit dem herausspritzenden Blut zu blenden, aber er schluckte es nur
gierig und zerhackte die ungläubig blickende Strauchdiebin
dann.
Helmbrecht erschlug den letzten der Räuber und rief dann laut:
„Kreatur der Niederhöllen, ich werde Dich
vernichten!“ und stürzte sich auf
„meinen“ Untoten. Das war wieder typisch
für ihn. Ich trat hinter ihm aus meinem Versteck, hob das
Bannschwert hoch und rief: „Ich banne Dich,
Dämonische Kreatur! Kehre sofort zurück in die
Niederhöllen!“
Damit befahl ich dem Dämon den zweiten und letzten Dienst den
ich ihm im Duell unseres Willens abgerungen hatte. Der Untote fiel
leblos zu Boden, das vage Schemen löste sich auf. Nicht jedoch
ohne noch aus reiner Bosheit ein lautes: „Ich höre
und gehorche... Meister.“ von sich zu geben. Unter
Helmbrechts notorisch misstrauischen Blick zuckte ich nur die
Schultern: „Seht ihr, selbst die Untoten respektieren die
Macht meiner Bannmagie.“