Bericht des Renegaten Rodrigo Manitas Calvazado
05. Praios 1030 BF, abends
Nach unserem Überfall auf das Räuberlager
durchsuchten wir als erstes deren Ausrüstung. Schon bald
fanden wir Steckbriefe, unter anderem der Anführerin Harla
Kartroffel. Doch diese war bereits verstorben: hatte nicht
viel von ihr übrig gelassen. Es lebte nur noch ein einziger
der Strolche. Niam verband ihn notdürftig aber mit den
wenigen, hier vorhandenen Mitteln sehr fachkundig. Dann befragten wir
ihn ausführlich. Der Kerl wimmerte vor Angst, statt sein
Schicksal wie ein Mann zu nehmen!
Wir erfuhren, dass Donna Patata eine strenge Hand mit ihren
Untergebenen hatte. Tatsächlich waren die Strauchdiebe schon
einmal gefasst und in den Steinbruch geschickt worden. Jedoch hatten
ein paar Wachen sie befreit. Danach sei der Auftrag dieser Gruppe laut
Harlas Anweisungen gewesen, Leute zu verhauen. Dabei wählte
sie die Ziele aus. Dass ihr letztes Ziel eine Immanmannschaft war, war
tatsächlich geplant gewesen, jedoch nicht deren Widerstand.
Die "Wappenröcke" der "blauen Füchse" hatten sie
tatsächlich selbst genäht; dafür hatten sie
extra einen Händler überfallen, der blauen Stoff bei
sich führte.
Wirklich viele Informationen gab der Kerl nicht her. Raun hatte die
Idee, die tote Anführerin zu befragen. Doch Rodrik antwortete
ihm, dass man sie zwar zu einem Gespräch bringen
könnte, jedoch nicht dazu, die Wahrheit zu sagen. Also
ließen wir diese Idee wieder fallen.
In einem Hohlraum bei Harlas Lager fanden wir noch ein paar Golddukaten
für die Gruppenkasse; die übrige Beute umfasste
Kleingeld im Wert von insgesamt 85 Silberlingen. Die Steckbriefe
brachten Señor Helmbrecht auf die Idee, das Kopfgeld
für die Bande zu kassieren. Murthakh brachte unseren nicht
sehr ergiebigen Informanten schnell um, dann luden wir ihn und die
anderen Leichen auf einen Karren und gingen zurück nach
Honingen. Kurz vor dem Stadttor ließen wir Señor
Helmbrecht mit dem Karren vorgehen. Wir sahen noch, wie er nach einem
kurzen Gespräch von vier Gardisten begleitet wurde, dann waren
sie außer Sichtweite. Wir gingen unterdessen zu den Lobos.
Im Lager der Honinger Wölfe war gute Stimmung: Sie hatten das
erste Spiel gegen Sturm Seshwig gewonnen. Coño, das Spiel
war ja heute gewesen! Es kamen auch recht bald die ersten
Vorwürfe, warum wir nicht dabei gewesen waren, um sie zu
unterstützen; allen voran Murthakh. Und nach und nach bekamen
wir die Ereignisse in der Stadt aus dem wild durcheinander plappernden
Haufen heraus.
Vor dem Spiel verkündete Gräfin Donna Conchobair, die
blauen Füchse hätten die Vairninger Schwalben
überfallen und ermordet. Da wir die Uniformen aus dem Lager
alle verbrannt hatten, würden wir diese Geschichte nicht mehr
gerade rücken können. Der Spielverlauf war jedoch zu
wirr und durcheinander vorgetragen, als dass ich mir das wirklich
hätte merken können. Doch ein paar Dinge waren
einprägsam.
Erstens: Wladim hatte ein gebrochenes Bein nach einer Doppelesche. Raun
schiente das ordentlich.
Zweitens: Tesbalds Gesicht war durch mehrere komplizierte
Brüche schwer verunstaltet. Nach einiger Beratung heilte Raun
ihn magisch fast vollständig. Senach meldete diese Heilung der
Turnierleitung, damit er weiterhin nicht am Turnier teilnahm, jedoch
sich von dieser Verletzung erholen konnte, ohne seiner Mannschaft zu
schaden. Denn ein magisch geheilter Spieler durfte nicht mehr
während eines Turniers spielen.
Drittens: Auch Märthe hatte eine Verletzung davon getragen.
Nach einem Sturz war ihr Handgelenk gebrochen. Auch hier tat Raun sein
Möglichstes auf nichtmagische Weise.
Viertens: Mi cariño Neowen hatte ein Tor erzielt! Da ich
jedoch kaum noch Charme in mir verspürte, verzichtete ich
darauf, ihr dafür betont starke Aufmerksamkeit zukommen zu
lassen. Das quittierte sie mit einer enttäuschten Miene und
wenig Gegenliebe ihrerseits.
Zu fortgeschrittener Stunde kehrten wir schließlich in unser
Quartier beim Händler Thule zurück. Zumindest Raun,
Niam, Rodrik und ich. Murthakh kippte irgendwann besoffen unter einen
der Tische, Señor Helmbrecht kehrte nicht zu uns
zurück. Die Nacht war einsam, so einsam ohne Neowen!
6. Praios 1030 BF
Beim Frühstück war Imman natürlich das
beherrschende Thema. Jedoch wurde auch vermeldet, dass heute das
Gauklerfest wieder geöffnet würde. Rodrik streifte
noch ein paar andere Themen im Gespräch. Die Verhandlung der
vermeintlichen Attentäterin ist am 9. Praios; weitere
Neuigkeiten gibt es zu dem Mord aktuell nicht.
Niam, Raun und Rodrik gingen als erstes zum Travia-Tempel. Die dicke
Gans war sehr besorgt über den Anschlag auf die Schwalben;
mehr hatte er auch nicht zum Turnierfrieden beizutragen.
Ich kehrte unterdessen zurück zu den Lobos. Murthakh lag nach
wie vor unter dem Tisch und schnarchte so laut, dass ich mich wunderte,
dass er davon nicht selbst wach wurde. Plötzlich rannte Borlox
in unseren Lagerabschnitt. "Die Bullen... schnell... zwei von ihnen...
tot... schnell... schnell..." Wir rannten sofort alle rüber.
Und tatsächlich zwei der Spieler der Havener Bullen lagen
bereits tot am Boden, ein Mann und eine Frau. Zwei weitere wanden sich
in Krämpfen am Boden und wimmerten. Den Symptomen nach
Schlachfeldfieber, aber das machte hier keinen Sinn. Kurz: Ich konnte
es nicht zuordnen.
Als erstes besah ich mir das Erbrochene. Brot, Wurst, Käse und
Kirschkerne. Ich sah mich um. Mehrere Tische waren reich gedeckt. Auf
dem Tisch stand ein Körbchen mit Kirschen, von denen
allerdings nicht mehr viele da waren. Nach einer kurzen Frage erfuhr
ich, dass die Kirschen von Gräfin Donna Conchobair gestiftet
worden waren. Eine Frau brachte eine große Kiste, jede
Mannschaft bekam ein Körbchen. Und das war wohl die einzige
Veränderung zum Frühstück gestern. Schnell
nahm ich mir eine Serviette und sammelte ein paar Kirschkerne und ein
paar Stücken der erbrochenen Kirschen ein. Vielleicht konnte
Raun das Gift daraus bestimmen, wenn diese vergiftet waren.
Auf jeden Fall mussten die Lobos gewarnt werden! Ich lief
zurück und sah, dass der Korb leer gegessen war. Swafne wand
sich in Krämpfen am Boden. Gerade, als der Heiler eintraf, den
wohl jemand aus der Mannschaft gerufen hatte, verstarb sie. Der
Stadtheiler, Wilburn Kerkil, konnte nur noch den Tod feststellen.
Plötzlich lief ein Junge in das Lager der Bullen und rief
panisch, dass ganz schnell ein Heiler zu den Boxhagener Drachen kommen
sollte. Wilburn sah mich an, gab mir seinen Schlüssel und
meinte, ich solle die grün verkorkte Tonphiole oben links im
Regal holen. "Links neben dem Stadttor ist mein Haus. Nun lauf schon!"
Das brauchte er mir nicht zwei Mal sagen. Unterwegs, kurz vor dem
Stadttor, traf ich die anderen. Ich klärte sie über
die Geschehnisse auf. Niam kam mit mir, Raun und Rodrik liefen flugs zu
den Lagern der Immanspieler.
Im Haus des Heilers konnten wir uns nicht auf eine Phiole einigen, also
nahmen wir die beiden mit, auf die die Beschreibung passte. Dann liefen
wir zurück zum Lager der Bullen. Dort war inzwischen ein
weiterer der Vergifteten gestorben. Raun besah sich die beiden Phiolen
und gab eine dem zweiten, der auch kurz vor seinem Flug über
das Nirgendmeer war. Jedoch half das Zeugs: Der Mann hörte auf
zu schwitzen, sein Atem wurde wieder tiefer, ruhiger,
gleichmäßiger.
Raun und Rodrik versuchten nun alle Kirschen und die Körbe
dazu bei den Mannschaften einzusammeln.
Niam und ich gingen wieder zu den Boxhagener Drachen, um zu sehen, was
der Heiler hier erreicht hatte. Doch wir sahen ihn nicht.
Dafür bemerkten wir aber, dass offenbar niemand Vergiftungen
aufwies. Die Spieler der Drachen sahen mich etwas verdattert an, als
ich ihnen erzählte, dass die Kirschen vermutlich vergiftet
seien. Doch niemand fühlte sich dort auch nur unwohl. Trotzdem
machte die Nachricht von den vergifteten Kirschen schnell die Runde.
Nach einem kurzen Sprint zurück zu den Lobos erfuhren wir, der
gute Mann sei in Begleitung von Ealger zielstrebig durch die
Büsche in "diese Richtung" gegangen. Wir nahmen den Weg und
suchten die Büsche dort ab, wobei wir das Schlimmste
erwarteten. Leider wurden wir nicht enttäuscht: Sowohl Ealger
als auch Wilburn Kerkil waren tot. Ealger war von hinten die Kehle
durchgeschnitten worden, Kerkil war mit einem präzisen Stich
ins Herz getötet worden. Ealger hielt außerdem etwas
in der Hand, eine Kette mit einem laufenden Bullen darauf.
Sollte dies ein Hinweis auf die Havener Bullen sein? Niam fragte mich,
was wir mit der Kette machen sollten. Meine Gedanken rasten. Die Kette
konnte platziert sein oder ein tatsächliches
Beweisstück. Aber das mussten wir herausfinden; wir waren hier
die einzig objektive und unparteiische Fraktion des gesamten Festes.
Sobald die Gardisten das Stück fänden, wären
hier die Niederhöllen los und der Turnierfrieden beim
Borbarad. Also sagte ich: "Steck sie ein, das ist zu riskant sonst!"
Neben etlichen Spielern kamen nun auch Rodrik und Raun hinzu. Raun
untersuchte die beiden Toten und entfernte eine Messerspitze, die in
der Wunde von Kerkil stecken geblieben war. Die Stichwunde zeigte, dass
der Täter eine kräftige Person war,
Rechtshänder und im Töten mit dem Dolch sehr
geübt. Ich nahm die Messer- oder Dolchspitze in
Verwahrung; darüber würde ich mich mit einem Schmied
unterhalten.
Während die Gardisten eintrafen zogen wir uns zurück
und berieten kurz, was zu tun sei. Dabei besahen wir uns auch die Kette
genauer.
Diese war eine filigrane Kette aus Eisen mit einem Medaillon aus
Silber, etwas gröber gearbeitet. Die Kette sah wie vom Hals
abgerissen aus. Das war für einen Schnitt von hinten jedoch
praktisch unmöglich. Ergo war sie ein bewusst platzierter,
falscher Hinweis, der den Verdacht auf die Havener Bullen lenken
sollte.
Raun übergab ich den Schlüssel zum Haus vom Heiler.
Er würde in dessen Labor das Erbrochene, die Kirschen und die
Körbe auf Gift untersuchen. Rodrik versuchte etwas
über die Frau in Erfahrung zu bringen, die die Kirschen
gebracht hatte. Dabei spekulierte er, ob sich ein Muster aus
Reichstreuen und Unabhängigen innerhalb der Mannschaften
ergab. Tatsächlich betroffen waren die Honinger Lobos und die
Havener Bullen. Honingen ist nominell reichstreu, auch wenn es die
blauen Füchse gibt, Havena gehört zum selbsternannten
"freien Albernien". Ich hätte an Zufall geglaubt, was die Wahl
der vergifteten Mannschaften angeht, jedoch scheint mir die platzierte
Kette ein zu großer Zufall zu sein. Ich glaube nicht, dass
das nicht irgendwie ins Kalkül gezogen wurde.
Niam würde der Spur der Kette folgen, rausfinden, woher
eventuell das Medaillon stammt oder wer sonst noch eine so filigrane
Eisenkette trug. Und ich würde den Jungen suchen, der ihn nach
dem Heiler für die Drachen geschickt hatte. Er hatte den
wahren Schuldigen gesehen; oder zumindest einen der Bande.
Außerdem würde ich den örtlichen
Waffenschmied zur Spitze der Mordwaffe befragen; vielleicht gab es
wertvolle Hinweise auf Material und oder Herkunft der Waffe.
Aber eine Frage galt es auf jeden Fall zu klären: Wer
profitiert eigentlich davon, wenn der Turnierfrieden nicht
aufrechterhalten werden kann? Diese Antwort würde wohl die
wichtigste der kommenden Tage sein.