Aus dem Tagebuch des Magus Consultatoris Rodrik Bannwäldner
Beratender Magus zu Fragen schwarzmagischer Phänomene und deren Bekämpfung

06. Praios 1030 BF
Immer noch in Honingen

Nachdem wir Murthakh endlich unter einem Tisch schlafend gefunden hatten, weckten wir ihn mit einem Eimer Wasser aus seinem Alkoholrausch. Es war schon unheimlich wie schnell dieser riesige Kerl sich wieder erholte. Wir ließen den immer noch leise heulend auf seine leeren Bierfässer starrenden Borlox zurück und trugen unsere Informationen zum aktuellen Giftanschlag zusammen. Es war schon zum Ausrasten! Nachdem wir uns getrennt hatten, war so ziemlich immer der Falsche von uns vor Ort gewesen. Kein Magier oder Heiler war im Lager zugegen, als die Giftopfer anfingen sich in Krämpfen zu winden. Unser Mechanikus stand mit Niam im Haus des Heilers um das Heilmittel zu holen. Und keiner von beiden hatte die geringste Ahnung von Pflanzen. Selbst Murthakh als Naturbursche hätte Yoruga-Wurzeln erkannt, während Raun und ich die Beschriftungen in Bosparano hätten lesen können.

Und sowohl Raun als auch ich hätten uns gar nicht die Mühe gemacht dieses Heilmittel zu holen, weil wir beide gewusst hätten, dass Yoruga-Sud zwar Fiebersenkend wirkt, aber gegen Gifte völlig wirkungslos ist. Niam hatte sich schon kurz umgehört und erfahren, dass der ermordete Heiler während der Spiele hier praktisch Dauergast war. Täglich hatte er Brüche, Prellungen und Schnitte zu verarzten. In der Stadt kannte ihn praktisch jeder. Er war beliebt, hatte arme Patienten auch für weniger Geld oder gar nur Naturalien behandelt und einen guten Ruf als fähiger Heiler. Nur dass er verständlicherweise wohl noch nie mit Gift zu tun gehabt hatte. Über ein Motiv für seine Ermordung oder eventuelle Feinde war bisher noch nichts bekannt geworden. Einzig Gerüchte, dass er gelegentlich auch die Blauen Füchse mit Verbandsmaterial, Heilmitteln und der einen oder anderen persönlichen Heilung unterstützt hatte.
Der Kerl den das Mittel angeblich geheilt hatte, hätte wohl auch so überlebt. Er hatte nur eine Kirsche gegessen bevor das Spektakel losging und sich sofort erbrochen.

Wir verschoben die Besprechung auf später und verteilten uns um weitere Informationen einzuholen. Wie sich herausstellte, waren nicht – wie eigentlich erwartet – die Hälfte oder mehr der Mannschaften betroffen, sondern deutlich weniger. Genau genommen nur eine Einzige: Die Havener Bullen. Und Swafne, die Trainerin der Honinger Wölfe, die zufällig bei Freunden im Lager der Bullen zu Besuch gewesen war und einige der Kirschen dort gegessen hatten.

In der Hand von Ealgers Leiche hatten wir einen Anhänger gefunden. Allerdings gab das keinen Sinn. Der Mörder hatte sichtlich genug Zeit gehabt um diese Spur zu entfernen. Und er hätte sicher bemerkt wenn man ihm die stabile Eisenkette vom Hals gerissen hätte. Wie wir erfuhren, gehörte der Anhänger der Spielerin der Havener Bullen, die inzwischen an dem Gift verstorben war. Das gab uns zu denken. Die Kette musste jemand schon früher besorgt haben, das war sicher nicht spontan passiert.

Ich verfolgte die Spur der Kirschen zu der Frau die sie im Auftrag der Gräfin verteilt hatte. Allerdings bereits am gestrigen Nachmittag. Und jede Mannschaft hatte sich aus mehreren, offen herumstehenden Körben selbst bedient. Unmöglich hier jemandem gezielt bestimmte Kirschen zu zuspielen. Der Korb mit den Kirschen der Bullen hatte in ihrem Vorratswagen gestanden, wo sich jeder Spieler einfach bedienen konnte. Und da hier auch laufend Gäste und Fans vorbei kamen, ging da jeder rein und raus wie er wollte.

Über Nacht oder am Morgen hatte jemand die Kirschen dann vergiftet. Keiner konnte sich an ungewöhnliche Besucher erinnern, aber es gab auch einfach zu viele die sich hier rumtrieben. Sobald die Bullen sich wieder etwas von dem Schock erholt hatten, würden wir mal fragen müssen, wer wann von den Kirschen gegessen hatte. Dann konnten wir den Tatzeitpunkt eventuell weiter eingrenzen.

Murthakh untersuchte die Kirschen. Dazu besorgte er sich die restlichen Kirschen der Bullen und die Kirschen der Havener Wölfe die ja nicht vergiftet waren. Wir alle zuckten schon um ihn ggf. davon abzuhalten eine zu probieren, aber so dumm war er doch nicht. Er roch erst ausgiebig daran und verkündete dann, dass beide süß riechen würden, die vergifteten aber sogar noch etwas süßer.
Dann polierte er einige Kirschen auf seiner Haut. Er bemerkte, dass einige Kirschen aus dem Korb der Bullen sehr klebrig waren. Allerdings nicht sehr viele. Genau genommen fanden wir nur noch vier.
Dann zerrieb er eine der klebrigen Kirschen auf dem Arm um die Farbe und Reaktion der Haut zu beobachten. Hier kam Rauns Einwand zu spät. Diese Methode funktioniert bekanntlich hervorragend um in der Natur Pflanzen auf Essbarkeit zu prüfen. Reagierte die Haut, sollte man es besser nicht essen. Allerdings gab es in der Natur keine einzige Pflanze, die so tödlich war wie das was wir hier vorhin erlebt hatten. Fitte gesunde Sportler die in kürzester Zeit dahingestreckt wurden. Und beim Versuch einen zu heilen hatte ich die Stärke des Widerstandes gespürt als meine Kunst versagte.

Und es gab außer Einnahmegiften auch Kontaktgifte, die auch bei bloßem Hautkontakt schon wirkten. Murthakh zuckte erst die Schultern als ich ihn darauf aufmerksam machte, dann sah er ungläubig wie sich die Haut deutlich verfärbte. Schweiß stand ihm plötzlich auf der Stirn und er schwankte ein wenig. Rondrigo verabreichte ihm den Rest des Yoruga Sudes bevor ihm jemand sagen konnte, dass das sinnlos sein würde. Dann wusch Murthakh sich auf unsere recht hysterischen Bitten hin schnell den Kirschsaft vom Arm. Wir besorgten sogar Seife. Nach einigen Minuten ging es ihm wieder besser. Ob seine riesenhafte Konstitution das Gift besiegt hatte, oder ob der Yoruga-Sud doch zufällig dagegen gewirkt hatte, konnten wir nicht feststellen.

Wir sahen uns das Lager nochmal in Ruhe an. Das Gebüsch in dem Ealger und der Heiler ermordet worden waren, lag etwa in der Mitte des Lagers. Wir gingen die zeitlichen Abläufe durch um festzustellen, ob jemand den Mord geplant hatte, oder ob das auch eine spontane Idee gewesen sein konnte.

Angenommen jemand wollte den Heiler umbringen und den Mord den Bullen in die Schuhe schieben. Dann konnte er einfach an einem Ort mit guter Sicht des freien Geländes warten, bis der Heiler vorbei kam und einen Straßenjungen losschicken, der ihn zu einem Patienten rief. Er hatte dann nur die Mannschaft als Ziel angeben müssen, zu der man auf dem Weg durch das unübersichtliche Gebüsch in der Mitte des Lagers gehen musste. Direkt nachdem er den Straßenjungen losgeschickt hatte, legte er sich im Gebüsch auf die Lauer. Ealger hatte sich als Führer angeboten und war dadurch zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Der Mörder war laut Niam ein Profi gewesen und hatte nicht gezögert noch einen Unschuldigen mit umzubringen.
Dann hatte der Täter den Anhänger in die Hand der Leiche gelegt und damit den Verdacht auf die Havener Bullen gelenkt... die Mannschaft die als einzige Todesopfer durch den Giftanschlag zu beklagen hatte. Und genau genommen einer Spielerin die zu dem Zeitpunkt gerade im Sterben lag. An der Stelle blieben wir mit unseren Überlegungen erstmal hängen. Das gab überhaupt keinen Sinn.

Ich besorgte die Erlaubnis des Hauptmannes der Stadtwache um das Labor des Heilers benutzen zu dürfen um das Gift zu untersuchen und ging dann mit Raun dorthin. Wir hatten ja noch den Schlüssel. Es war deutlich kein echtes alchemistisches Labor sondern eine Ausstattung auf dem Niveau das Alchemisten etwas abfällig als Hexenküche bezeichnen würden.

Wir hatten noch drei vergiftete Kirschen übrig. Die Untersuchung stellte sich als überraschend schwierig heraus. Wir fanden schnell Anzeichen für Mandragoragift, den Wirkstoff der Alraune. Aber das war eher ein Brechmittel als ein tödliches Gift. Genau genommen kannten weder Raun noch ich ein Gift das derart tödlich wirkte. Wir einigten uns auf Mandragora als Basis, aber es war massiv verstärkt worden. Wir fanden Anzeichen für Höhlenspinnengift und einige weitere exotische Zutaten die wir nicht genau bestimmen konnten. Wir konnten jedoch feststellen, dass es kein alchemistisches Gift war, sondern eher etwas aus der Küche eines Kräuterkundigen oder eines nichtmagischen Giftmischers.

Raun verdächtigte einen meisterlichen Giftmischer. Ich dagegen zweifelte daran, dass hier in Honingen tatsächlich jemand derart fähiges unterwegs war. Abgesehen von dem Meuchelmörder der Ealger erwischt hatte, wäre das schon der zweite Profi gewesen. Ich stellte die Theorie auf, dass hier jemand ein einfaches Brechmittel hergestellt und böse verpfuscht hatte. Vielleicht als Versuch die Wetten zu manipulieren oder als Racheakt gegen die bösen Rebellen für den Anschlag auf die reichstreue Mannschaft der Vairninger Schwalben, die man ja auch eher versehentlich ausgelöscht hatte. Raun nannte mich einen Zyniker.
In der Ausrüstung des Heilers gab es jedenfalls keine Hinweise, dass er der Giftmischer gewesen sein konnte. Weder Rezepte noch Zutaten für Gifte waren zu finden.

Wenn man die Bullen wirklich hätte auslöschen wollen, hätte es billigere Gifte gegeben, die langsamer gewirkt hätten und dadurch vermutlich viel mehr Opfer gekostet hätten. Weiter konnten wir herausfinden, dass die Kirschen auch nicht einfach übergossen worden waren, sondern dass der Mörder einzelne Kirschen sorgfältig in Gift getaucht hatte. So hatte sich die Anzahl der Opfer stark in Grenzen gehalten. Die Überlebenden hatten eventuell nur Kirschen erwischt, die die Giftkirschen leicht berührt und nur wenig Gift aufgenommen hatten.

Ich durchsuchte noch die Vorräte des Heilers und nahm noch eine Flasche Einbeerensud und einen Tiegel mit Wirselkrautpaste mit. Man konnte ja nicht wissen wer noch verletzt werden würde.

Rondrigo war derweil zum örtlichen Waffenschmied gegangen, um den Dolchsplitter analysieren zu lassen, den er in Ealgers Wunde gefunden hatte. Es handelte sich um einheimischen albernischen Stahl normaler Qualität. Allerdings war das Bruchstück ungewöhnlich scharf. Hier hatte sich jemand viel Mühe gegeben sein Mordwerkzeug zu pflegen und stundenlang mit dem Wetzstein gearbeitet. Anzeichen für Verzierungen oder ähnliches waren nicht zu erkennen.

Als letzte Spur hatten wir noch den Straßenjungen, der Ealger und den Heiler zu den Bockshager Drachen gerufen hatte. Er hatte eventuell den Täter gesehen, als dieser ihn mit dieser gefälschten Nachricht losgeschickt hatte. Die Gardisten bei den Honinger Wölfen wussten wo sich viele der Straßenjungen meistens rumtrieben: Um das Gratenfelser Tor herum.

Rondrigo hatte ihn als einziger gesehen, daher ging er mit mir und Murthakh auf die Suche. Nach kurzer Zeit fanden wir den Jungen auch. Genauer gesagt erwischten wir ihn dabei, wie er gerade mit Rondrigos Goldbeutel davon rannte. Der Frauenheld raste los wie ein Windhund. Ich konnte richtig sehen wie die magischen Strukturen sich um ihn bildeten um ihn zu beschleunigen.
Sie verschwanden in einer Gasse und nach ein paar Sekunden holte ich die beiden wieder ein. Rondrigo hatte den Jungen gepackt und versuchte ihn zu beruhigen. Dann ließ er ihn los. Und natürlich raste der kleine Mistkerl sofort davon. Ich griff erst daneben, dann packen Rondrigo und ich ihn gleichzeitig an den Armen, warfen ihn zu Boden und Rondrigo setzte sich auf seine Brust. Ich kündigte etwas sauer an, ihm die Achillessehnen durchzuschneiden, wenn er nochmal wegrannte. Ich benutzte dann meine übliche Verhörtaktik und zeigte auf den eben ankommenden Murthakh. Ich drohte dem Jungen Murthakh das Gespräch zu überlassen, wenn er nicht sofort alle Fragen beantwortete.

Der Straßenjunge Yaffar war zwar recht schwer zu beeindrucken, aber Murthakhs Knurren kombiniert mit dem Angebot einer Belohnung brachte ihn dann doch zum Reden. Er erzählte uns, dass ihm ein Mann einen Silber in die Hand gedrückt und ihn losgeschickt hatte, um den Heiler zu den Drachen zu rufen. Der Junge hatte nie angezweifelt, dass dort tatsächlich jemand krank war. Danach hatte er sich schnell davon gemacht. Er hatte befürchtet, dass dem Mann sicher auffallen würde, dass er viel zu viel gezahlt hatte und sein Geld zurück wollte. Vermutlich hatte ihm das das Leben gerettet, denn ein echter Profi hätte sicher versucht dieses offene Ende zu schließen.

Er beschrieb den Täter als einen Mann mit eisblauen Augen, dessen Arme und Gesicht mit weißen Binden verbunden waren. Darüber trug er Lederkleidung mit zahlreichen Taschen und Waffen und einen Kapuzenumhang, der sein verbundenes Gesicht verbarg. Und sogar eine Armbrust auf dem Rücken. Er hatte einen „seltsamen“ Dialekt den der Junge nicht kannte. Mittlerweile hatte der Bengel begriffen, dass wir ihm nichts tun wollten und begann zu feilschen. Er bot an mit den anderen Straßenjungen nach dem Mann zu suchen. Wir einigten uns auf zwei Silber sofort und fünf bei Erfolg.
Er bot uns noch weitere Dienste an. Ich fragte noch nach einem Kräuterweiblein und er konnte mir sofort den Weg zu einer alten Frau beschreiben die für ihre Kräutermixturen bekannt war und außerhalb der Stadt wohnte. Vielleicht hatten wir damit schon unsere Giftmischerin gefunden.

Dann gab ich ihm noch ein paar Heller um mir erklären zu lassen, wo es die hübschesten Kurtisanen in der Stadt gab.

Anhand der Beschreibung des Täters hatte ich nun eine neue Theorie. Das Lager des Imman-Feldes war vielleicht auf einem alten Alhanischen Begräbnishügel erbaut worden und der Lärm und das ausgelassene Feiern hatte den Zorn einer Wächtermumie erregt... Aber wieso hatte sie dann ausgerechnet den Heiler ermordet... Ich verwarf die Idee wieder.

Wieso hatte sich der Kerl das Gesicht verbunden...? Nun, dafür konnte es nur zwei Erklärungen geben: Entweder er war verletzt oder krank und es handelte sich tatsächlich um Verbände, oder er war hier in Honingen so bekannt, dass er befürchten musste erkannt zu werden und sein Gesicht daher verbergen wollte.

Aber was hatte er gegen den Heiler? Gut, er wollte den Mord den Bullen anhängen, aber wieso dann den Heiler ermorden? Was sollte das für ein Motiv für die Bullen geben? Nein, ich hielt es für wahrscheinlicher  dass es hier um etwas Persönliches ging. Das trug eine ganz andere Handschrift als das nächtliche Verkloppen von Passanten oder einer reichstreuen Imman-Mannschaft durch die Nordmärker Soldaten. Das hier war kaltblütiger, geplanter Mord gewesen. Wenn überhaupt, dann passte das eher zu dem Mord an dem Hochseilartisten.

Und der Täter hatte offensichtlich den Giftanschlag ausgenutzt, aber nicht selbst beauftragt. Sonst hätte er kaum ausgerechnet die Schuld auf die einzigen Opfer geschoben.

Hier gab es zweifellos gleich mehrere Parteien die jeweils ihr eigenes Süppchen kochten. Jede mit eigenen Motiven und Plänen.

Partei A verfügte über nicht unbeträchtliche Ressourcen und ging geplant und skrupellos vor. Der Mord am Hochseilartisten, die Beschuldigung der Seenländerin, die Aktionen der von den Soldaten unterstützten Straßenräuber und das Attentat auf den mit Rebellen sympathisierenden Heiler, das alles passte in ein Konzept. Dass die Straßenräuber weniger skrupellos waren, änderte nichts daran, dass sie bei ihren Aktionen Tote zumindest billigend in Kauf genommen hatten.
Diese Partei wurde entweder von der Gräfin Conchobair oder einem ihrem Berater beauftragt. Und das Ziel war es den Blauen Füchsen jeden Rückhalt in der Bevölkerung zu rauben. Und damit würden die Rebellen schnell angreifbar werden.

Partei B war wohl eher ein Einzeltäter. Ein Wettbetrüger oder jemand der die Havener Bullen nicht leiden konnte. Oder jemand der sich für die angeblichen Missetaten der Blauen Füchse rächen wollte. Ein hinterhältiger genialer Giftmischer... oder jemand der sein Brechmittel massiv verpfuscht hatte. Mein Bauchgefühl neigte zur zweiten Theorie.

Wir mussten den Kerl finden... und ihm sein Gift-Rezept abschwatzen. Meine Blasrohrpfeile waren ohne Gift fast nutzlos und auch mein Dolche konnte ein wenig Verstärkung brauchen.