Aus dem Tagebuch des Magus Consultatoris Rodrik Bannwäldner
Beratender Magus zu Fragen schwarzmagischer Phänomene und
deren Bekämpfung
09. Praios 1030 BF
Nach einem ausgiebigen Frühstück besorgte ich eine
große Leinwand samt Stativ und sammelte unsere
Beweisstücke für die Gerichtsverhandlung ein.
Gemäß unserer neuen Strategie befragte ich den
Gehilfen des Akrobaten mit Suggestivfragen so lange bis er
völlig überzeugt war, dass sein Chef um Schutzgeld
erpresst wurde aber nicht zahlen wollte: „So, dieser brutale
Schläger mit dem er gesprochen hat, hatte also ganz sicher
einen tobrischen Akzent? Sehr interessant. Ihr seid sicher, dass kein
Geld in der Kasse fehlt und er daher definitiv KEIN Schutzgeld gezahlt
hat? Kein Wunder dass er ermordet wurde.“
Den Rest meiner Zeit verbrachte ich damit den Tatort
maßstabsgetreu aufzuzeichnen.
Dann begaben wir uns zum Gerichtsgebäude wo heute gleich zwei
Gerichtsverhandlungen nacheinander stattfinden würden. Eine
gegen die naive Seenländerin, die andere gegen die drei
unglücklichen Blauen Füchse.
Unterwegs konnten wir sehen wie der Wagen mit den Gefangenen in einem
Käfig herangefahren kam. Die Zuschauer waren offensichtlich
völlig von der Schuld der Seenländerin
überzeugt. Die Schmähungen gegen die Rebellen wirkten
dagegen eher halbherzig.
Ich suchte mir eine abgeschiedene Gasse wo ich schnell und
unauffällig noch einen Attributo Cantus wirkte um meinen
Scharfsinn zu steigern.
Durch die unerwartet dichte Menge aufgehalten kamen wir etwas zu
spät am Gerichtsgebäude an. Die anderen waren alle
schon drin. Die Stadtwache am Eingang wollte uns zuerst nicht herein
lassen.
Hinter mir gingen Rodrigo mit dem Gehilfen des Akrobaten als Zeugen und
Murthakh der seine Axt, ein Stück Holzpfosten und das Seil vom
Tatort dabei hatte. Ich lächelte die Wachen freundlich an und
erklärte ein Advokat im Dienste der Travia Kirche zu sein der
bei der Wahrheitsfindung mitwirken sollte. Die kleine Travia-Akoluthin,
die zufällig ebenfalls vor dem Gebäude stand,
bestätigte der misstrauischen Wache, dass wir
tatsächlich im Auftrag der Kirche unterwegs waren. Den
Ausschlag gab dann die Frage: „Wollt ihr euch der
Travia-Kirche und vor allem IHM in den Weg stellen?“ mit
einem beiläufigen Daumen in Richtung Murthakh. Die Wachen
beschlossen daraufhin uns herein zu lassen.
Den Vorsitz hatte der ehrenwerte Vogt Cuill ui Harmlyn. Als Beisitzer
war tatsächlich ein Praios Geweihter aufgetaucht. Praiodan
Fidian aus Mendena. Ein Tobrier. Ich fuhr gedanklich die Tiraden gegen
die üblen verbrecherischen Tobrier deutlich herunter und
ließ meinen eigenen leichten tobrischen Akzent mehr
hervortreten.
Dann gab es noch eine zweite Beisitzerin, eine Leonara Windentreu, die
zweite Stellvertreterin Marschalls von Streitzig. Die war so
offensichtlich eine Vollstreckerin im Auftrag der Gräfin, dass
ich sie sofort komplett ignorierte.
Ich entschuldigte mich für meine Verspätung und
stellte mich als Fürsprecher für die Angeklagte vor.
Das überraschte den Richter, allerdings bestätigte
Hauptmann Gulford unter dem kritischen Blick des Praios Geweihten
sofort, dass das ich die Absicht als Rechtsbeistand aufzutreten bereits
vor Tagen angekündigt hatte. Man verlas die Anklage extra nur
für mich ein zweites Mal.
Ich baute die Skizze des Tatortes auf und befragte den ersten Zeugen,
den Schreinermeister. Er bestätigte mir, dass die Skizze
korrekt die Lage der einzelnen Gebäude, Zelte usw. darstellte.
Der Geweihte hatte sich den Tatort ebenfalls genau angesehen und
stimmte zu.
Ich merkte schnell, dass ich hier einen der guten Praioten erwischt
hatte. Der Kerl war unvoreingenommen und ehrlich an der
Wahrheitsfindung interessiert.
Der Schreinermeister beschrieb dass er die Angeklagte gesehen hatte,
wie sie das Seil mit einem Hieb ihres Dolches durchtrennt hatte.
Ich ließ ihn seine Position beschreiben und auf der Skizze
zeigen.
Der zweite Zeuge wurde hereingeholt und erklärte gesehen zu
haben, wie die Angeklagte das Seil mit mehreren Zügen
durchgesägt hatte.
Ich demonstrierte dann anhand meiner Tatortskizze, dass beide den
Tatort eigentlich nicht oder nur sehr schwer hatten sehen
können.
Beide beschrieben die Angeklagte als Rechtshänderin.
Ich ließ einen Zeugen, die Angeklagte und dann Murthakh
demonstrieren wie lange es tatsächlich brauchte um das dicke
Seil mit einem Dolch zu durchtrennen. Körperkraft brachte
dabei nur wenig Vorteile.
Selbst mit einer Axt schaffte die Angeklagte es nicht das Seil komplett
mit einem Hieb durch zu trennen.
Und die Schnittkante des Seils vom Tatort war glatt und wies auf einen
einzelnen Hieb hin, die mit Dolchen durchgesäbelten Seile
waren stattdessen stark ausgefranzt. Die Tatwaffe musste daher eine Axt
oder ähnliches gewesen sein. Und der Täter deutlich
stärker als die Angeklagte, um das Seil mit einem Hieb
durchtrennen zu können.
Dazu konnte ich auf eine deutliche Kerbe an dem Stamm hinweisen an dem
das Seil befestigt war. Ein weiteres Zeichen für eine Axt oder
ähnliches als Tatwaffe. Niemals einen Dolch.
Interessanterweise bestätigte auch Praiodin diese Kerbe
gesehen und an der Geschichte mit dem Dolch Zweifel gehabt zu haben.
Dazu kam dann, dass am Tatort kein Dolch gefunden wurde. Und schon gar
keine Axt oder ähnliches. Ich behauptete frech gesucht zu
haben und die Stadtwache ebenfalls.
Dann konnte ich noch klar ausführen, dass die Angeklagte
Linkshänderin war, was ich schon auf der Stadtwache getestet
und dem Hauptmann demonstriert hatte.
Dann verhörte ich noch den letzten Zeugen. Den Helfer des
Akrobaten. Da ich ihn bereits in die richtige Richtung geschuppst
hatte, konnte ich aus ihm heraus bekommen, dass sein Chef vermutlich
von jemandem bedroht worden war. Vermutlich Schutzgelderpressung. Und
er hatte ganz klar nicht gezahlt, da kein Geld fehlte und auch am
Tatort nirgends entsprechende Schurkenzinken gefunden worden waren. Der
Praios Geweihte nahm ihn bezüglich des Dialektes noch ins
Kreuzverhör und demonstrierte einen almadanischen Akzent als
er ihn fragte, ob der tobrische Akzent sich so angehört
hätte. Der Zeuge widersprach und identifizierte dann den
richtigen tobrischen Akzent.
Ich hielt einen kurzen Monolog bezüglich der traurigen
Tatsache, dass so viele meiner Landsleute in ihrer Verzweiflung den Weg
des Verbrechens gewählt hatten. Der Geweihte widersprach hier
scharf, dass weder Armut noch schweres Schicksal eine Entschuldigung
sei, den Weg des Rechts zu verlassen.
Bis der Richter merkte worauf ich hinaus wollte war es schon zu
spät. Er informierte mich, dass es nicht Inhalt der
Gerichtsverhandlung war den Täter zu finden, sondern nur die
Schuld oder Unschuld der Angeklagten festzustellen.
Aber der Zweck dieses letzten Verhörs war bereits
erfüllt. Nun würde sich überall in der Stadt
verbreiten, dass der Akrobat nicht von der Seenländerin
ermordet worden war, sondern von hinterhältigen
erpresserischen Schutzgelderpressern. Tobrischen Schutzgeldverbrechern
obendrein.
Ich war gut vorbereitet, durch den Attributo klüger als je
zuvor und hatte etliche Beweise und logische Argumente vorgebracht. Die
Aussagen der Zeugen widersprachen jeder Logik und waren zudem noch
unterschiedlich gewesen.
Es war daher keine Überraschung, als der Richter feststellte,
dass die Schuld der Angeklagten nicht mit Sicherheit festgestellt
werden könne und sie daher freigelassen werden würde.
Allerdings, so fügte er dann hinzu, sei auch ihre Unschuld
nicht zweifelsfrei bewiesen. Er verbannte sie daher mit sofortiger
Wirkung aus der Stadt und ordnete an, sie direkt nach der
nächsten Verhandlung unter Bewachung hinaus aus der Stadt
bringen zu lassen.
Na toll. Soviel zum wohlverdienten Dankbarkeits-Sex mit der naiven
Seenländerin. Gut, natürlich hätten wir sie
aus der Stadt schaffen müssen damit sie nicht von
irgendwelchen Mordmärkern gelyncht wurde, aber das
hätte morgen früh noch gereicht. Oder in einer Woche
oder so...
Die Gerichtsverhandlung danach gegen die Rebellen bestand aus einer
langen Liste von Schandtaten dieser Verbrecher. An der Schuld bestand
nie Zweifel und sie wurden wie erwartet zum Tode durch den Strang
verurteilt. Zu vollstrecken am nächsten Morgen eine Stunde
nach Sonnenaufgang, damit auch ja genügend Publikum zur Stelle
sein würde.
Als ich aus dem Gerichtsgebäude trat, kam eine der vielen
Patrouillen der Stadtwache um die Ecke. Schneidige Kerle im Gambeson
mit geschulterten Hellebarden. Der letzte Funken des Attributo brannte
noch in mir und ich erinnerte mich plötzlich an die Aussage
der Angeklagten. Die „Zeugen“ hatten auf sie
gezeigt und ihr die Tat vorgeworfen. Sie hatte sich umgedreht:
„... und da standen schon zwei Männer der Stadtwache
und eilten sofort auf mich zu.“
Ich hatte die Standorte eben noch auf der Skizze gesehen. Hinter ihr
war der Ort gewesen wo das Seil durchgeschnitten wurde. Wenn jemand von
dort kam, hätte er den wahren Täter sehen
müssen. Und die Gardisten trugen Hellebarden...
große schwere Äxte an langen Stielen mit denen man
selbst das dickste Seil mit einem Hieb durchtrennen konnte. Ein
weiterer Beweis, dass zumindest einige Mitglieder der Stadtwache an der
Verschwörung der Gräfin gegen die Invher-treuen
Albernier beteiligt waren.
Trotz allem mit meiner Leistung hoch zufrieden gingen wir los um
endlich Schelle die Schelmin zu finden. Mir fielen zwei Tauben auf, wie
diejenigen, die sie begleitet hatten und wir folgten ihnen. Sie
führten uns aus der Stadt zum Spielerlager und von dort zu
Schelle.
Sie zickte wegen dem Pilzsammler herum den Murthakh in
präventiver Notwehr zerstückelt hatte und als wir sie
daran erinnerten, dass sie den Trollzacker damals fahrlässig
so gereizt hatte dass er zwangsläufig durchdrehen musste,
besserte das ihre Laune nicht. Es gibt schon Gründe warum
Schelme in den meisten Gegenden aus der Stadt gejagt werden.
Wie Magister DeLinth immer zu sagen pflegte: „Die
können sich aussuchen ob wir ihnen den Weg aus Armida heraus
leuchten oder den Weg mit ihnen beleuchten.“
Grummelnd führte sie uns durch den Wald zum Versteck der
Blauen Füchse. Wachtposten und Schützenstellungen
hoch in den Bäumen und einige getarnte Zelte. Wir wurden von
Ex-Gräfin Franka Salva Galahan begrüßt. Wir
besprachen die Lage, tauschten ein paar Höflichkeiten aus und
ich fragte sie, wieso sich die drei Rebellen überhaupt in
diese Gefahr gebracht hatten, wenn die Gräfin doch vorhatte
nicht aktiv zu werden. Sie behauptete für keinen der
Vorfälle verantwortlich gewesen zu sein. Nicht einmal
für die Drohbriefe.
Sie war sich absolut sicher, dass die Gräfin selbst
für viele der Verbrechen verantwortlich war. Kein Berater oder
sonstiger Untergebener würde es je wagen derartiges ohne ihre
ausdrückliche Anweisung zu organisieren.
Es gab eine einfache Antwort: Ansgar war gekommen um uns wegen Frenjar
zu kontaktieren. Ich fühlte mich ein wenig schuldig, aber
selbst Franka musste zugeben, dass wir selbst nichts tun konnten um die
Männer zu befreien ohne jede Möglichkeit zu verlieren
weiter für den Frieden zu arbeiten. Und der lag der alten
Gräfin weiter sehr am Herzen. Ging es doch um ihr Volk. Die
Menschen die sie über Jahrzehnte weise regiert hatte.
Sie war kurz davor ihre Freunde aufzugeben als ich beiläufig
den Schmugglertunnel erwähnte. Nein, sie wüsste
nichts von einem Schmugglertunnel. Schon gar nicht von einem der eine
ideale Fluchtmöglichkeit vom Hinrichtungsplatz aus der Stadt
bot. Nun schöpfte sie wieder Hoffnung. Sie durfte kein Blutbad
anrichten, denn das hätte sofort zu einer brutalen Reaktion
der Gräfin Conchobair geführt. Aber eine schnelle
unblutige Befreiungsaktion schien möglich.
Zurück in Honingen kamen wir an einer völlig
betrunkenen Gruppe von Havener Bullen vorbei, die laut und schlecht
bösartige Lieder über die Nordmärker sangen.
Es kostete uns einige Mühe sie zu beruhigen und auf normale
Sauflieder umzulenken. Es gelang uns knapp bevor einige
Nordmärker Soldaten vorbei kamen.
Den Rest des Abends verbrachte ich mit den Reportern von
„Holzschnitt Honingen“ an dem Entwurf des morgigen
Extrablattes:
„Vogt Cuill ui Harmlyn und der Praios Geweihte Praiodan
Fidain sind sich einig: Seenländerin unschuldig!
In einem beeindruckenden Beispiel praiosgefälliger
Wahrheitsfindung gelang es dem Gericht festzustellen, dass
die Zeugenaussagen nicht nur widersprüchlich, sondern ebenso
wie der beschriebene Tathergang völlig unlogisch waren.
Gut informierte Quellen in der Stadtwache sind sich sicher, dass es
sich bei dem feigen Mord nicht um die Tat eines Agenten der
abtrünnigen Königin Invher, sondern um eine
misslungene Schutzgelderpressung handelt. Der ehrbare
nordmärker Akrobat, der tagtäglich sein Leben
riskierte um die Bevölkerung für ein geringes Entgelt
zu erfreuen, wurde brutal ermordet weil er sich weigerte Schutzgeld zu
zahlen.
Die Frage ob es sich bei den Tätern um ein stadtbekanntes,
tobrisches Verbrechersyndikat handelt, konnte vor Gericht nicht
allumfassend geklärt werden. Hauptmann Gulford von der
Stadtwache versicherte unseren Reportern jedoch dass die Ermittlungen
fortgeführt werden.
Verbindungen zu dem hinterhältigen Giftanschlag mit mehreren
Todesopfern unter den „Havener Bullen“ und den
„Honinger Wölfen“ durch einen
mysteriösen Mann mit ausländischem Akzent, der sein
Gesicht mit mumienartigen Binden verbirgt, werden von offizieller Seite
bisher noch nicht bestätigt.
Holzschnitt Honingen ist sich seiner Verantwortung für die
Sicherheit der Stadt bewusst und setzt hiermit eine Belohnung von 10
Dukaten für sachdienliche Hinweise die zur Ergreifung dieses
Schurken führen, aus.“
Wir diskutierten das weitere Vorgehen
mal wieder bis tief in
die Nacht und legten uns dann erschöpft zur Ruhe.