Epilog
Nachdenklich stand die alte Frau auf der bestens verborgenen Plattform
und beobachtete aus sicherer Entfernung eine Gruppe Reisender, die
gemächlich und sichtbar selbstzufrieden auf der
Reichsstraße 3 in Richtung des verhassten Gratenfels
marschierte. Ohne darüber nachzudenken, wischte sie ihre
feuchten Hände an ihrem blauen Wams mit dem silbernen Fuchs
ab. Dies war wieder einer dieser Tage, an denen sie sich trotz ihrer
immerwährenden Jugend unendlich alt fühlte.
Es war eine seltsam zusammen gewürfelte Gruppe.
Angeführt von einem Ritter auf seinem Streitross, wirkten die
übrigen Gestalten bis auf den Trollzacker Barbaren fast
winzig. Die Frau hielt sich wie immer im Hintergrund. Dies war auch in
den vergangenen Wochen so gewesen. Über sie hatten ihre
Spitzel am wenigsten in Erfahrung bringen können,
außer dass sie die Fähigkeit besaß sich
nach Belieben „unsichtbar“ machen zu
können und dass sie sich fast nie in die Auseinandersetzungen
der Übrigen eingemischt hatte.
Auch über den Ritter war nicht in Erfahrung zu bringen
gewesen, da ihn die Stadtwache nach wenigen Tagen bereits einkassiert
hatte. Doch offenbar bildete er so etwas wie das „moralische
Rückgrat“ der Truppe. Kein Wunder, dass die
Ereignisse so aus dem Ruder gelaufen waren, nachdem er festgesetzt
worden war. Erklärte dies etwa diesen absoluten Mangel an
Loyalität der Übrigen? Warum hatten sie in keinster
Weise versucht ihn aus dem Karzer zu holen, abgesehen von der
Versorgung seiner Verletzungen?
Recht einfach einzuschätzen war der Schönling der
Gruppe. „Don Juan“, hatten sie ihn
getauft. Offenbar war er vor allem daran interessiert seinen Lurch in
möglichst viele Frauen zu stecken. Sie lachte kurz auf. So
einen hatte sie schon einmal kennen gelernt, nur war dieser noch
überheblicher und unausstehlicher gewesen. Was ihn wohl in
diese Gruppe gezwungen hatte?
Wenn sie an die übrigen drei Gestalten dachte, so lief ihr ein
eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Sie konnte nicht sagen,
welcher von diesen schlimmer war als der nächste. Aber
vielleicht war dies auch der falsche Ansatz. Jeder für sich
genommen war bereits eine Herausforderung für jeden
göttergefälligen Menschen, doch in Kombination waren
sie ... waren sie... sie schluckte. Ihr fehlten einfach die Worte. Was
hatte er sich nur dabei gedacht, ausgerechnet diese Verbrecher zu
rekrutieren?
Zuerst fixierte sie den „Heiler“.
„Heiler“, dass sie nicht lachte. Er hatte wohl auch
einigen tatsächlich geholfen und verfügte wohl
über großes Wissen über die Heilkunst. Doch
wenn sie an die Methoden dachte, die er dazu verwendete, so war er wohl
einer der gewissenlosesten Menschen, denen sie je begegnet war. Was er
im Keller des armen Vyburn mit den beiden Toten angestellt hatte, war
einfach nur widerlich. Auch dass er vor den Augen ihrer Späher
dem armen Wolf Banuk die Kehle durchgeschnitten hatte und diesen
anschließend in aller Seelenruhe ausgeweidet hatte, war
einfach empörend. Diesen hinterhältigen
„Mord“ jedoch derart aufsehenerregend den Tobriern
in die Schuhe zu schieben war brillant gewesen, musste sie sich jedoch
eingestehen. Nichts hätte die Mehrheit der Honinger so schnell
gegen die gut vernetzten Tobrier aufwiegeln können, wie diese
völlig sinnlose Grausamkeit.
Dies war bestimmt die Idee dieses selbst ernannten
„Advocaten“ gewesen. Der war viel zu schlau
für ihren Geschmack. Und er verstand es überaus gut
seine wahren Absichten zu verschleiern. Doch sie wusste es besser. Ein
finsterer Schwarzmagier war er, der sich auf
Dämonenbeschwörungen und Nekromantie verstand. Ihre
Späher hatten ihr eindeutige Berichte abgeliefert, wie diese
sechs Gestalten mit der Bande von Harla Kartroffel aufgeräumt
hatten. Kurz erwog sie, ob es nicht doch besser gewesen wäre,
ihren verborgenen Bogenschützen zu befehlen...
Der letzte war der riesige Barbar aus den Trollzacken. Ein echtes
Biest, immer kurz davor die Bestie heraus zu lassen. Seltsam, dass er
die anderen noch nicht alle umgebracht und seinen grausamen
Göttern geopfert hatte. Offenbar schien er insbesondere dem
Ritter gegenüber ungewöhnlich viel Respekt entgegen
zu bringen. Subtilität jedenfalls war deutlich nicht seine
Sache. Seine blutige Spur ließ sich deutlich nachverfolgen.
Sie seufzte erleichtert auf, dass sie diese Truppe in wenigen Stunden
endgültig wieder los war. Sollte er sich doch um diese
Psychopaten kümmern. Es erschien ihr wie ein Wunder, dass es
diese Verbrecher entgegen aller Vermutung geschafft hatten, den
Turnierfrieden, der für „ihr“ Land so
wichtig war, zu bewahren. Aber vielleicht war gerade dieser
völlig Mangel an götterfurcht der Grund
dafür. Wie hätte eine Gruppe von Praios- oder
Rondra-ergebenen Recken all diese Betrügereien erfolgreich
durchführen können, die notwendig gewesen waren, den
Tobriern alles in die Schuhe zu schieben, damit die Schlange auf dem
Thron Honingens, auf ihrem Thron, ihr Gesicht wahren konnte? Hatte es
denn unbedingt sein müssen, dass er ihre Füchse mit
den Tobrieren in Verbindung gebracht hatte? Sie konnte nur hoffen, dass
sich nicht zu viele ihrer heimlichen Verbündeten und
Wohltäter nun von ihr abwanden.
Vielleicht besaß ihr Bundbruder doch verdammt mehr Weitsicht
und Menschenkenntnis, als sie ihm zugetraut hatte. Schmunzelnd
erinnerte sich an den Tag im Wald vor zweieinhalb Jahren, als sie
feierlich den „Bund von Greif und Fuchs“
geschlossen hatten, mit dem Ziel dem Hause Gareth den Greifenthron zu
erhalten. Es kam ihr so vor, als wären sie trotz der
Rückkehr Rohajas diesem Ziel weiter entfernt als je zuvor.
Obwohl sie froh war, dass es nicht zu einem Bruch des Turnierfriedens
mit anschließendem Massaker an den Invher-treuen Mannschaften
gekommen war, war der Ausgang der Ereignisse für sie und ihre
Sache doch der Schlimmstmögliche gewesen. Es würde
viel zu viel Fingerspitzengefühl und Bestechungsgelder kosten,
den Rückhalt in der Bevölkerung wieder zu erlangen,
falls dies überhaupt möglich war.
Sie seufzte auf und verscheuchte die trüben Gedanken. Es war
Krieg. Das durfte sie einfach nicht immer wieder vergessen. Es war
nicht die Zeit rondrianischer Heldengeschichten, sondern die Zeit in
der sie ums nackte Überleben kämpfte und in der die
Ergebnisse zählten, nicht die Mittel, mit denen sie erreicht
wurden. So gesehen war alles gut gegangen. Zwar hatte es Verluste
gegeben. Schwere Verluste von guten Freunden, wie dem armen Vyburn, zum
Beispiel. Doch insgesamt hätte es weit schlimmer enden
können. Wenn einige Wochen ins Land gegangen wären,
würden sich nur noch wenige Menschen an die angebliche
Zusammenarbeit zwischen den Tobriern und den Blauen Füchsen
erinnern. Die meisten Menschen lebten im Hier und Jetzt und hatten
weder Zeit noch Muße um über die Vergangenheit oder
ihre Zukunft nachzudenken, von der Wintervorsorge einmal abgesehen.
Während sie sich an diesen winzigen Strohhalm der Zuversicht
klammerte, ritt Franka Salva Galahan zum geheimen Lager der Blauen
Füchse zurück. Es war Zeit den Bericht für
den 2. Hofmagus zu schreiben, der ihr einmal mehr geholfen hatte.
Vielleicht würde es mit seiner Hilfe und seinen unlauteren
Methoden irgendwann in der fernen Zukunft gelingen, Albernia wieder zu
einen und ohne Blutvergießen wieder ins Mittelreich
einzugliedern.
Sie hasste es Berichte zu schreiben, doch es war ihr klar, dass sie
über die Geschehnisse hier Bericht erstatten musste. Sie
dachte noch einmal über alle Geschehnisse nach und versuchte
sie gedanklich zu ordnen und in einen logischen Zusammenhang zu bringen.
Die meisten Taten der „Friedensbewahrer“
ließen sich, nach Weglassen von Moral und Anstand, zumindest
rudimentär begründen... doch warum hatte der alte
Fredo daran glauben müssen, dessen einiges
„Verbrechen“ es gewesen war, alleine im Wald Pilze
zu sammeln...?