Aus den Tagebüchern des Magiers Rodrik Bannwäldner
Verdeckter Ermittler im Auftrag des Zweiten Hofmagus Travin Gertenwald (Codename: Mutter Gans)


22. Efferd 1030 BF
Gareth

Mutter Gans tauchte diesmal wieder völlig ohne Vorwarnung an unserem Frühstückstisch auf. Mann wie mich das nervt. Die absichtlich knarzende Tür und die Glöckchen an allen Fenstern und Türen haben nicht gereicht um uns zu warnen. Und ich werde nicht meine Golems einsetzen um mich zu warnen, auch wenn das sicher funktionieren würde. Er würde es merken und dabei meine Golems erkennen. Wenn er die nicht schon längst bemerkt hat. Ich hasse es mit Profis zu arbeiten.

Verdammt. Worüber hatten wir gerade geredet während M.G. uns sicher belauschte? Irgendwas über das neue geheime Hauptquartier? Nein. Wir hatten die letzte Zeit nur über Murthakhs neuestes Hobby unterhalten. Er fing überall in den umliegenden Kneipen Schlägereien an. Das interessante war der schmierige kleine Kerl der ihm mittlerweile überall folgte und ein mobiles Wettbüro eröffnete wenn er eine Schlägerei begann. Um dann Wetten auf den Ausgang an zu nehmen.
Niam schlug vor, sich doch an dem Gewinn beteiligen zu lassen, aber Murthakh war völlig damit zufrieden, dass der Kerl laufend neue Dummbatzen überredete sich mit ihm an zu legen.

Mutter Gans hatte diesmal einen wirklich interessanten Auftrag. Er hatte einen Geweihten des Namenlosen erwischt und verhört. Viel wollte er uns nicht verraten, aber der Kerl war von einem neuen Kult des Namenlosen aus Syrrenholt, einer Kleinstadt eine Tagesreise südlich von Gareth angefordert worden.

Und nun suchte er jemanden der dessen Rolle übernahm, sich dort meldete und möglichst viele Kultisten lebend gefangen nehmen sollte, damit er weitere Kultistenzellen aufdecken konnte. Und natürlich wollte er herausfinden was genau die Anhänger des Namenlosen in dieser harmlosen Kleinstadt vorhatten.

Irgendwie waren alle davon überzeugt ich könnte diese Rolle am besten spielen. Was mich schon ein wenig beleidigte. Wann hatte ich jemals Anzeichen für eine Sympathie  mit dem Namenlosen gezeigt?!?

Keiner meiner Gefährten weiß schließlich, dass ich IHM einst schon als Kind mein linkes Auge opferte für die Gnade SEINEN Willen unter die Ungläubigen tragen zu dürfen. Die Macht SEINE Diener zu rufen und SEINE Dämonen zu befehligen. Das Schwarze Feuer auf die Unwürdigen zu schleudern und Namenlosen Zweifel zu sähen unter denen die dem falschen Glauben an SEINE zwölf abtrünnigen Diener anhängen.

Nein. So sehr ich auch versuchte mich in die richtige Stimmung eines heimlichen Geweihten des Namenlosen zu versetzen, konnte ich mich nicht mal selbst überzeugen, dass dieses Gewäsch Sinn ergab. Die Anhänger des Namenlosen waren im Schnitt angeblich deutlich intelligenter und listiger als Dämonenpaktierer. Aber genau genommen waren es eben auch nur Paktierer. Der Dreizehnte Gott... Ich hatte mal eine interessante Abhandlung über dieses Thema verfasst. Basierend auf der allgemein unter Dämonologen bekannten Tatsache, dass es Dämonen gab, die dem Namenlosen zugeordnet wurden und nicht einem der zwölf bekannten Erzdämonen. Dazu wiesen alle Anhänger (oder wie sie sich untereinander nannten: „Geweihte“) die für Paktierer typischen Merkmale auf: Dämonenmale in Form von fehlenden Körperteilen oder Schatten und eine klare Änderung der Prioritäten und Ziele zum Wohle des Meisters.
Man sollte ihn also eher als dreizehnten Erzdämonen und nicht als dreizehnten Gott einordnen. Andererseits gab es zahlreiche Berichte, die die Fähigkeiten seiner Geweihten eindeutig als karmale Liturgien einstuften. Magier konnten dies allerdings nur insofern bestätigen, dass die Werke nicht magisch erkennbar waren und teilweise magische Barrieren wie den Gardianum ignorierten. Letztendlich also kein schlüssiger Beweis.
Ich postulierte, dass der Namenlose eher als Bindeglied anzusehen sei. Der Zwischenschritt zwischen Gott und Erzdämon. Gefangen auf der Schwelle zur wahren Gottheit durch die Ketten die ihn an die Sternenleere ketteten und das Fehlen eines Wahren Namens, so dass er nicht beschworen werden konnte.
Es gibt genügend Legenden nach denen einstige Götter zu Erzdämonen geworden sind. Am bekanntesten die Geschichten über Charyptoroth die als Meeresgöttin bei einem Angriff auf Agrimoth in der Siebten Sphäre dem Chaos anheimfiel als sie versuchte ihm die Macht über das Element Wasser zu entreißen. Sie schaffte es, wurde aber so korrumpiert das sie zur Erzdämonin wurde.
Die Norbardischen Legenden um Mishkara als frühere Schwestergöttin von Mokoscha waren da deutlich vager und schlechter dokumentiert. Mir war allerdings unklar in welche Richtung er sich bewegte. War es ein Erzdämon auf dem Weg zur Göttlichkeit? Oder ein Gott auf dem Weg in die Niederhöllen?
Wegen angeblich unzureichenden Quellenangaben und Referenzen wurde die Veröffentlichung meines Aufsatzes von der Puniner Akademieleitung abgelehnt. Eindeutig ein plumper Vorwand um sich nicht mit diesem heiklen Thema auseinander setzen zu müssen.

Aber ich kam vom Thema ab. Mutter Gans gab uns die Parole mit der sich der Geweihte in der Herberge „Trautmannsherd“ ausweisen sollte: „Ein Zimmer mit zwei Betten, aber mit nur einer Wanze.“

Der Geweihte hatte seine Weihe erst vor kurzem erhalten und stammte aus Perricum. Wesentlich mehr konnte unser Auftraggeber mir nicht an Hintergrundwissen anbieten. Er gab uns noch eine kurze Übersicht über den Glauben an den Namenlosen. Einige übliche Formulierungen, Grüße und Glaubensinhalte. Alles allerdings sehr vage. Damit würden wir nicht lange durchkommen. Dazu frischte ich meine Kenntnisse über Perricum auf.

Wir würden als die Angestellten von Rodrigo in seiner Tarnung als „Schreinermeister Romeo Santos“ auftreten. Ich als Schreiber und Buchhalter Elon Carhelan. Murthakh als Martuk der Tagelöhner fürs Grobe. Raun als Hilfsarbeiter und Mädchen für alles. Niam als Schreinergesellin und Betthäschen.

Für die Mission bekamen wir eine Spesenkasse mit 20 Dukaten. Was gerade mal die Kosten für einen  Pferdewagen decken würde. Aber wir arbeiteten ja nicht für schnöden Mammon. Sondern für das Privileg nicht verhaftet und hingerichtet oder durch mächtige Ritualmagie vernichtet zu werden.

Wir packten schnell und brachen dann auf. Ich verabschiedete mich von der Labor Ausrüstung die zu beschaffen den größten Teil der letzten Tage und mein halbes Barvermögen gekostet hatte und die immer noch in einer Kiste darauf wartete in unserem zukünftigen geheimen Zweitquartier aufgebaut zu werden. Labor... pah... Mörser, Pistille, Feinwaage, Gewichte, Messbecher und etwas Kochgeschirr. Eine geradezu archaische Ausstattung. Keine Destillationskolben, kein Curcurbit oder Alembic, keine Salamanderöfen oder Kältebecken. Und natürlich bisher nur die grundlegendsten Zutaten.  


23. Efferd 1030 BF
Syrrenholt: Ca. 1100 Einwohner. Zwei Herbergen, ein Dutzend Gaststätten. Tempel von Travia, Peraine und Praios. Und ein Kult des Namenlosen.

Wir täuschten eine Wagenpanne mit brechenden Radspeichen vor. Allerdings hatte Rodrigo die Qualität der örtlichen Reichsstraße wohl überschätzt, denn statt wie geplant in der Stadt ereilte uns das Unglück bereits hundert Schritte vor dem Stadttor. Mühsam schleppten wir uns mit drei Rädern unter den gutmütigen und aufmunternden Kommentaren der Einheimischen in die Stadt. Wir bezogen in der uns genannten Herberge Trautmannsheim Quartier und ich brachte in meiner Bestellung der Zimmer scherzhaft die Parole unter. Abends fand ich dann einen Zettel mit einer Einladung zu einem geheimen Treffen. Um Mitternacht im Kontor Egerdinger. Direkt gegenüber auf der anderen Seite des Marktplatzes.

Wir begaben uns geschlossen als Gruppe von Anhängern des Namenlosen mit mir als geweihtem Anführer dorthin. Im nur von einer einsamen Kerze beleuchteten Hinterzimmer trafen wir auf drei Gestalten mit Kapuzenmänteln. Eine Frau und zwei Männer. Alle ohne magische Aura. Da hätte ich mir die Mühe meine Kristallkugel durch ein Holzauge zu ersetzen auch sparen können.

Sie begrüßten uns in „Seinem“ Namen. Wir antworteten entsprechend. Wobei wir insgeheim natürlich „Mutter Gans“ und sie vermutlich den Gott ohne Namen meinten. Nach kurzem Geplänkel wurde uns eine Aufgabe übergeben. Wir sollten einen gesiegelten Brief nach Gareth bringen. Ich protestierte gegen diese nutzlose Verschwendung unserer Fähigkeiten, aber es nützte nichts. Man wollte uns „prüfen“.

Offen genervt von diesem nutzlosen Spielchen verabschiedete ich mich. Wir zogen uns in das Herbergszimmer zurück in dem wir uns am sichersten fühlten und besprachen uns mit Zetteln und flüsternd um evtl. Lauscher zu vermeiden. Dazu moserte Murthakh die ganze Zeit laut herum was ebenfalls half unser Gespräch zu tarnen.

Niam enthüllte uns eine weitere interessante Fähigkeit. Sie konnte den versiegelten und mehrfach gefalteten Brief mit Hilfe des Penetritzel Cantus lesen ohne ihn zu öffnen. Mein Respekt vor der Scharlatanischen Repräsentation wächst zunehmend weiter.

Der Inhalt war: „Frauke, die Tochter des Tuchhändlers Egerdinger muss sterben. Schickt jemanden der das erledigt.“ Keine Unterschrift. Schade. Ich hatte eigentlich mit dem alten Klassiker gerechnet: „Tötet den Überbringer dieser Nachricht, denn er ist offensichtlich zu doof einen versiegelten Brief vor dem überbringen zu lesen und daher für unsere Verschwörung zu gutgläubig.“

Was für ein Schwachsinn. Die hätten uns auch direkt auffordern können diese Frauke, die vermutlich gleich hier um die Ecke wohnte zu ermorden. Wieso der Umweg nach Gareth? Was bewies es denn wenn wir diese Nachricht überbrachten?
Wir diskutierten dann noch ob wir ggf. die vermutlich unschuldige Frau ermorden oder ihre Ermordung nur vortäuschen sollten. Meine psychopathischen Gefährten tendierten einstimmig zu der einfacheren Option.
Ich hatte damit ein Problem. Wenn wir dem Willen des Namenlosen entsprachen und einen Menschen töteten,  war das dann ein echtes Opfer? Fingen wir uns damit evtl. einen Minderpakt mit dem dreizehnten der Erzdämonen ein?
Und wieso waren meine Gefährten überrascht, dass ich ein Problem damit hatte einfach Unschuldige zu ermorden? Wofür halten die mich eigentlich?