Aus den persönlichen Aufzeichnungen Helmbrecht von Rosshagens,
Edler vom Ochsenwasser
21.Tsa des Jahres 1031 nach Bosperans Fall (Fortsetzung)
Nachdem Murthakh Ergil mit einem mächtigen Schwinger zu Boden
geschickt hatte, konnte ich endlich wieder atmen und schnappte heftig
nach Luft. Zwischen zwei gierigen Atemzügen wies ich Rodrigo
knapp an, den Bewusstlosen zu fesseln – und keinen Augenblick
zu früh, denn schon nach einigen Herzschlägen kam
Ergil wieder zu sich und begann an den (glücklicherweise fest
geknüpften) Knoten zu reißen.
Die Geweihten waren inzwischen hinzu geeilt, sahen sich aber
außer Stande, den Dämon aus dem Besessenen
zurück in die Niederhöllen zu verbanden. Ohne die
Tarnung Rodriks zu lüften sah ich zu nächst keine
andere Möglichkeit, als den Waffenknecht gefesselt und
geknebelt auf einen der Wagen zu laden und zu hoffen, dass ihm im
nächsten Tempel – sicherlich 2 Tagesreisen entfernt
– geholfen werden konnte. Rodrik jedoch überredete
Bruder Travinor schließlich wortreich, eine Austreibung des
Dämons durch ein gemeinsames Gebet zu versuchen. Keiner der
Geweihten schien große Hoffnung zu haben, den Dämon
auf diese Weise wirklich bannen zu können, aber welche andere
Wahl hatten sie?
So versammelten wir uns also um den sich windenden Ergil und begannen
unter Anleitung Bruder Travinors im Chor das Lob der ZWÖlfe.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Rodrik, der sich etwas hinter den
Betenden hielt. Von den Teilnehmern des Zuges schien ihn niemand zu
beachten, aber dafür, dass er das Gebet eben noch so vehement
gefordert hatte, war er nun überraschend still und schien eher
in eigene Gedanken versunken. Wir wechselten gerade zur
nächsten Strophe der Liturgie, als seine Stimme jedoch
deutlich durch das Gemurmel klang und er dem Dämon energisch
befahl, aus dieser Sphäre zu entschwinden. Kaum war seine
letzte Silbe verhallt, als sich eine düstere Fratze aus
stinkendem Rauch aus dem erschlaffenden Ergil löste. Rodrik
fixierend und kreischend stieg sie einige Schritt gen Himmel, bevor sie
sich schließlich auflöste. Als der Rauch verzogen
war, lagen alle Augen der Gruppe auf Rodrik. Dieser reagierte jedoch
gedankenschnell und begann lautstark PRAios und die anderen der
ZWÖlf zu preisen. Eines musste man dem Mann lassen: um eine
Ausrede war er wahrlich nie verlegen! Schnell fielen wir in Rodriks
Lobpreisungen ein und tatsächlich machte die Anspannung rasch
allgemeiner Erleichterung Platz. Als sich Bruder Travinor und Ladvinja
um den völlig entkräfteten Ergil kümmerten
und der Pöbel wieder zerstreute, sah ich jedoch Pyglaions
nachdenklichen Blick auf unserem vermeintlichen „einfachen
Pilger“ ruhen. Das könnte uns noch Schwierigkeiten
bereiten.
Während sich die Gruppe zerstreute, berichtete Niam mir knapp
von einem Altar mit einem halbverwesten Menschenopfer, den Sie bei der
Erkundung der Umgebung gefunden hatte. Halb aus Mitleid mit der armen
Seele, halb in der Hoffnung, den jungen Geweihten abzulenken,
erzählte ich Pyglaion davon und bat ihn, den Leichnam zur Ruhe
zu betten. Als der Zyklopäer jedoch auch nach dem kurzen
Begräbnis nachdenklich blieb und sich etwas abseits der Gruppe
hielt, war klar, dass es damit nicht getan sein würde. Wir
mussten die Sache also aus dem Weg räumen, bevor er mit den
anderen Zugführern sprach. Da mir kein
nicht-ehrenrühriger Grund einfallen wollte, warum wir die
wahre Profession des Magus verborgen hatten, beriet ich mich kurz mit
Niam – Geheimniskrämerei und Täuschung war
schließlich ihr Metier. Und tatsächlich kam Ihr der
Gedanke, die Tarnung des Magus als taktisches Manöver zur
Täuschung nicht etwa unseres Zuges, sondern vielmehr der
Schwarzmagier,Dämonenpaktierer und Kriegsfürsten in
der Wildermark zu verkaufen. Hier wäre ein einzelner Bannmagus
– wie er sogar unlängst bewiesen hatte –
eventuell mehr wert als all unsere Schwerter. Ich verwies
gegenüber Pyglaion auch auf den guten Leumund der Akademie, an
der Rodrik gelernt hatte – seinen weiteren Werdegang
ließ ich lieber unerwähnt, würde er doch
sicher nicht zur Beruhigung des Geweihten beitragen. Der Priester
verstand unsere Bedenken, meinte aber, dass wir doch zumindest den
Führungsstab hätten einweihen sollen. Ich
bekräftigte, dass der Plan am besten gelingen konnte, wenn
möglichst wenige davon erfuhren. Zu schnell könnten
ein paar wenige, gut gemeinte Anweisungen alles aufdecken. Pyglaion
ließ sich für den Moment vom Stillschweigen
überzeugen, aber dies würde vermutlich nicht das
letzte Gespräch in dieser Sache sein... Rodrik indes war
über die Enthüllung seiner Profession nicht eben
erfreut, schließlich hätte der Geweihte bis zu dem
Gespräch zwar eine Vermutung, aber keinerlei Beweise gehabt.
Mit einem kurzen Verweis auf das Magiersiegel in seiner Hand musste er
jedoch eingestehen, dass diese nicht eben schwierig zu erlangen gewesen
wären.
22. Tsa des Jahres 1031 nach Bosperans Fall
Bereits nach einigen Stunden Marsch erreichten wir einen kleinen
Weiler, aus dem uns eine aufgebrachte Menschenmenge entgegeneilte.
Wolfsechsen hätten sich in der Scheune eines der Bauern
eingenistet und inzwischen gar ein Kind gerissen! Ich hatte noch nie
von einem solchen Biest gehört, doch dem Namen und der
Beschreibung des Bauern nach zu urteilen, konnte es sich nur um eine
Chimäre handeln. Rodrik bestätigte diesen Verdacht,
kurz bevor er pragmatisch vorschlug, die Scheune nieder zu brennen
– was auf wenig Gegenliebe bei ihrem Besitzer
stieß. Ich kam nicht umhin, mich ob des desolaten Zustands
des Reichs zu wundern. Keine drei Tagesreisen von Gareth entfernt
hatten wir es schon mit Menschenopfern, Dämonen und frei
laufenden Chimären zu tun. Wenn mit Answin doch nur der
fähige und rechtmäßige Kaiser auf dem Thron
verblieben wäre! Er hätte es sicherlich nicht so weit
kommen lassen.
Zu meiner Überraschung war Rodrik weiterhin Feuer und Flamme,
die Monstrositäten zur Strecke zu bringen: „Kein
weiteres Kind soll diesen Bestien zum Opfer fallen!“?! Ich
war überrascht. Von ihm hatte ich kein solches Mitleid mit den
Blagen eines Bauerndorfs erwartet. Aber selbstverständlich war
unsere Hilfe ob der Leitung unseres Zugs ohnehin unausweichlich
gewesen.
Wir verschafften uns einen Überblick über die Lage
und ich schlug Herdfried vor, eine Schützenreihe –
gut zwei von drei der Pilger hatten Bögen dabei –
vor der Scheune zu postieren und die verwundeten Chimären nach
einem einleitenden Pfeilhagel mit dem Schwert nieder zu machen. Niam
wies auf den Dachboden hin, auf dem wir unsere Kämpfer und
Schützen postieren und die überlegene Position
ausnutzen konnten. Der Plan beinhaltet ein gewisses Risiko, denn wenn
die Chimären uns oben in einen Kampf verwickeln
würden, bevor wir die erste Salve abgeben konnten,
hätten wir jeglichen Vorteil durch die Schützen
verspielt.
Da die Chimären so jedoch auf keinen Fall entkommen konnten,
einigten wir uns nach kurzer Beratung auf diesen Plan. Schnell
schickten wir die Dörfler aus, um Leitern, Lampen und einen
Spiegel zu holen. Rodrigo bereitete seine Windenarmbrust vor und Rodrik
nutzte die Zeit, um sich der hübschen Branje als
Leibwächter zu empfehlen. Diese schien skeptisch,
ließ sich aber doch von seinen Fähigkeiten
überzeugen. Kaum waren die Leitern zur Dachbodenluke angelegt,
als Murthakh schon nach oben eilte. Polternd stürmte er in den
Dachboden, wo glücklicherweise keine der Bestien wartete. Wir
anderen kamen zügig, aber geordnet hinterher und bezogen
Aufstellung. Nun zeigte sich auch, was Niam mit dem Spiegel vorhatte:
Geschickt bündelte sie das Licht in der dämmrigen
Scheune, so dass die Schützen leichtes Spiel hatten, auf eine
der Chimären anzulegen. Die Pfeile der Kurzbögen
vermochten kaum die Schuppen der Chimäre zu durchdringen, doch
Rodrigos Bolzen ließ das Untier zusammenbrechen und Branje
bereitete seinen Zuckungen mit einem formidablen Schuss ein Ende.
Mit überraschender Schnelligkeit und Geschick sprang eine der
beiden verbleibenden Chimären hinauf auf den Dachboden und
hatte sich schon im Bein einer Freiwilligen verbissen, bevor ich
reagieren konnte. Die letzte Chimäre stürzte sich in
wilder Raserei auf den blutigen Kadaver ihres toten Artgenossen,
während unser eigenes Monster mit lautem Gebrüll zu
ihr herab sprang!
Von seiner Kraft konnte man nur beeindruckt sein und auch sein Mut
ließ nichts zu wünschen übrig, aber diese
ständige Disziplinlosigkeit würde irgendwann
Konsequenzen haben müssen… Zunächst
verlangten jedoch die Chimären nach unserer Aufmerksamkeit.
Rodrik eilte von Branjes Seite herbei, um sich der Chimäre im
Nahkampf zu stellen, während Herdfried und ich schon von 2
Seiten auf das Biest eindrangen. Das Untier war geschickter, als man es
erwarten würde und wich so manchem Pfeil und einigen wuchtigen
Hieben aus, bevor ich es schließlich nieder streckte. Zu
dieser Zeit klang auch schon Murthakhs Lachen zu uns herauf, der nur
durch einige Kratzer verletzt über dem mit klaffenden Wunden
verunzierten Leichnam der letzten Echse stand.
Während Pyglaion die hässliche Bisswunde der
Freiwilligen verarztete, durchsuchten Rodrik und Niam die Scheune. Ihre
Enttäuschung darüber, dass nirgendwo ein Gelege zu
finden war, registrierte zum Glück keiner unserer Mitreisenden.
Die Dörfler ließen es sich nicht nehmen, am Abend
ein bescheidenes Fest für uns auszurichten. Sie
mühten sich nach Kräften, ihre Dankbarkeit zu zeigen
und ich bin sicher, dass die ein- oder andere der Dörflerinnen
Rodrigo in guter Erinnerung behalten wird. Rodrik versuchte sein
Glück indes weiter bei Branje, aber ich glaube nicht, dass er
über ein oberflächliches Gespräch hinaus
kam. Genau kann ich es jedoch nicht sagen, da ich mich bereits am
frühen Abend mit einer der Mägde verabschiedete.
23. Tsa des Jahres 1031 nach Bosperans Fall
Am späten Vormittag kam uns kurz vor Puleth eine Gruppe
Soldaten zu Pferde entgegen. Sie trugen die weiße Schnecke
auf grünem Grund, das Wappen Horbald von Schroeckhs, dem
Kronvogt von Puleth. Wie halb Darpatien machten Niam und Rodrik noch
einige Späße über „den
Schneck“ und sein trauriges Wappen, bevor die Soldaten in
Hörweite kamen. Nach kurzem Gespräch mit Bruder
Travinor eskortierten sie uns in die Residenz von Schroeckhs, der uns
empfing und wortreich zu unserem Vorhaben
beglückwünschte. Wir dürften uns seiner
vollen Unterstützung sicher sein, ein Begleitschreiben sollten
wir bekommen und er würde seine umfangreichen Beziehungen
spielen lassen um den Wiederaufbau der Wildermark voran zu treiben.
Selbstverständlich war das meiste leeres Geschwätz,
aber wir dankten höflich für die Gastfreundschaft und
Rodrik schaffte es tatsächlich, ihm eine Spende von 30D
für unseren Zug und damit die Wildermark zu entlocken.
Ich beschloss in der Stadt nach einem Schmied zu suchen, war mein
treues Bastardschwert doch in Gareth dem Kampf mit dem Dämon
zum Opfer gefallen. Niam holte Erkundigungen ein und so standen wir
kurze Zeit später vor der Schmiede von Meister Perdan, an die
sich ein umfangreiches und gut sortiertes Waffenlager anschloss.
Der Schmied selbst verwies uns an seine
geschäftstüchtige Ehefrau Josmine und kurze Zeit
später standen wir mit 3 Bastardschwertern – zwei
von einfacher Machart, das dritte eine reich verzierte Prunkwaffe
– im Innenhof vor einem Holzkerl. Ich machte mich ans Werk
und bemerkte schnell, dass alle Klingen gut gearbeitet waren. Das eine
der Schwerter jedoch… Schon nach wenigen Schwüngen
wusste ich, dass ich Puleth nicht ohne diese Waffe verlassen konnte.
Während die anderen beiden Klingen sehr gut gearbeitet und
vernünftig ausbalanciert waren, hatte dieses Schwer nur auf
mich gewartet. Mit dem leicht verlängerten Griff lag das
Schwert perfekt in meinen Händen und die schlanke Klinge
schien ein Eigenleben zu haben, so elegant schnellte sie nach jedem
präzisen Schnitt wieder zurück in die Wehr. Ich
musste mich zusammen nehmen, damit die Frau des Schmieds meine
Begeisterung nicht bemerkte.
Doch obgleich das Schwert als Ankauf eines reisenden Händlers
günstiger war als die Klingen ihres Mannes, hatten wir seit
dem Überfall auf unser Haus in Gareth nicht mehr genug Gold,
um es zu bezahlen. Ich machte Niam unauffällig die
Dringlichkeit deutlich und sah zu, wie sie begann, die Frau des
Schmieds zu bearbeiteten. Sie verbrüderte sich mit ihr,
schmeichelte ihrem Mann, spielte gemeinsame Interessen aus und
irgendwann hatte sie die Frau auf 45 Dukaten – immer noch
unsere gesamte Reisekasse – heruntergehandelt. 45 Dukaten und
die Dienstbarkeit Rodrigos, der ihr ein paar Stunden in einem Hotel
versüßen sollte, dann könnten wir das
Schwert am nächsten Tag abholen. Auf dem Rückweg
redete ich gut gelaunt mit Niam, so dass wir letztlich beim
„Du“ landeten. Eigentlich war dies ja nicht meine
Art, aber nach 2 Jahren in einer kleinen Einheit wollen wir es einmal
nicht so genau nehmen.
Zurück in der Residenz ging ich sofort zu Rodrigo, um ihn um
seine Unterstützung zu bitten. Zu dieser Aufgabe
würde ich ihn nicht einfach abkommandieren können,
ich würde ihn überzeugen müssen, es
freiwillig zu tun. Niam war sich fast sicher, dass ich auf Rodrigo
zählen konnte, aber nicht aus zu denken, wenn er sich zierte.
Irgendjemand würde die alte Vettel schließlich
besänftigen müssen…
Ich unterbreitete ihm die Situation wortreich, doch zu meinem
Erschrecken schien er zunächst nicht geneigt, der armen,
vernachlässigten Frau ihren Abend zu
versüßen. Kurzzeitig dachte ich
tatsächlich, dass er sich weigern würde. Nicht
auszudenken! Ich bekräftigte, dass er mir damit einen
persönlichen Gefallen tun würde und schaffte es
letztlich doch noch, ihm zu genug zu schmeicheln, um sich der Sache an
zu nehmen. Nur sein Meisterstück würde dafür
sorgen können, dass ich das meine erhalten könnte!
Später berichtete er, dass sich die Alte – so gut es
ihr möglich gewesen wäre – für ihn
hübsch gemacht hätten und dass er daher nicht
unzufrieden mit dem Verlauf gewesen sei. Dennoch verabschiedete er sich
früh, um den Abend noch mit einer der hübschen
Dienerinnen der Residenz zu verbringen. Ich zog mich nach dem
Abendessen ebenfalls schnell zurück, konnte ich doch den
Morgen kaum erwarten…