05. Phex 1031 BF
Auf dem Weg nach Wutzenwald
Unterwegs kamen wir an einem kleinen Weiler mit einem halben Dutzend
Häusern vorbei. Die wenigen Bewohner hatten sich gerade um
einen lautstarken Kerl mit langem struppigem Bart versammelt, der auf
einem Baumstumpf stand und die Macht seiner Göttin Sumu pries.
Als er durch unseren Wagenzug zusätzliches Publikum bekam,
legte er rhetorisch nochmal kräftig zu. Er sprang herunter und
forderte unsere Geweihten heraus, die Macht ihrer Götter zu
demonstrieren. Natürlich ignorierten diese solche albernen
Forderungen.
Der Prediger, der sich als der Druide Fingorn Hainsaate vorstellte,
suchte sich einen freien Platz neben der Straße und pflanzte
dort einen winzigen Baumschößling. Dann trat er
zurück und rief unter lautem rufen und mit viel wildem
Gestikulieren die Macht Sumus herauf. Und vor unseren Augen wuchs der
Schössling zu einem über einem Meter hohen Baum samt
Blättern und ein paar Äpfeln an.
Durch die Augen meines Golemkäfers konnte ich erkennen, dass
es sich um recht normale, wenn auch sauber und gut gewirkte, Magie
handelte. Kein Wunder Sumus. Es erinnerte mich an einen Elfenzauber den
ich in Armida ein paar Mal gesehen hatte.
Die Diskussion mit dem Druiden hatte unsere Geweihten, und vor allem
den sonst so friedfertigen Pygmalion sehr aufgebracht. Als ich ihn
unauffällig informierte, dass der Druide einfach zauberte,
besserte das seine Laune jedoch nicht. Er hielt eine kurze Ansprache an
die Anwesenden Dörfler über die ewige Macht der
Zwölfe und stampfte dann weiter. Der Pilgerzug folgte ihm.
06. Phex 1031 BF
Wutzenwald
Die Sonne erwärmt unsere Gesichter als wir am frühen
Vormittag, getrieben von einem immer noch recht frischen
kühlen Wind, unser Ziel erreichen. Ein mit etwa 650 Einwohnern
doch recht stattliches Städtchen empfing uns mit lautem Jubel.
Die Palisade erschien mir unzureichend als Schutz in dieser Gegend,
aber besser als Nichts. Im Hintergrund konnte ich dafür noch
eine kleine Fluchtburg erkennen. Es gab hier den wichtigsten Tempel der
Peraine in der ganzen Gegend, dazu Schreine für Rondra und
Travia. Wutzenwald war ein wichtiger Handelsknotenpunkt und hatte einen
der größten Lebensmittelmärkte im Umfeld.
Daher hielten sich die Übergriffe der umliegenden
Räuberbarone auch in Grenzen. Niemand wollte riskieren den
Lebensmittelhandel zum Erliegen zu bringen.
Der Hüter des Landes, ein verdienter Veteran zahlreicher
Abenteuer, wenn auch eine namenlose und unbeschreibliche Gestalt, war
wie erwartet, nicht überrascht über unsere Ankunft.
Die karmalen Kommunikationswege der Geweihten hatten ihn sicher
frühzeitig informiert, dass wir kommen würden. Die
Felder waren daher schon komplett für die Aussaat vorbereitet.
Gepflügt, dann mit diesem kleineren Pflugdings die
Schollenstücke zerkleinert und saubere Furchen gezogen. Ich
konnte nicht verhindern, dass mir gleich drei stolze Bauern das
nacheinander haarklein erklärten. Immerhin kam ich ja aus der
Stadt und hatte sicher noch nie ein Feld gesehen…
Zwei unserer Ochsenkarren würden hierbleiben, der dritte fuhr
wieder zurück nach Gareth mit den Pilgern, die nicht
hierbleiben wollten. Und vermutlich noch ein paar
Handelsgütern.
Um unsere Ankunft angemessen zu feiern, wurde dann auch noch einer der
Ochsen geschlachtet. Natürlich nicht unser guter Otto. Der sah
den heranspazierenden Metzger nur ruhig an, da suchte sich dieser ein
anderes Opfer. Dafür trabten mindestens fünf
Kühe von der Weide zu ihm herüber und umringten ihn
fröhlich muhend.
Nach einem Dankgottesdienst an die drei gütigen Schwestern,
überreichte uns der Pfleger des Landes noch jedem einen
gesegneten Anhänger. Einen geschnitzten Storch am Lederband,
der uns für ein Jahr vor Krankheiten bewahren würde.
Natürlich nur, solange wir die Gebote Peraines achteten.
Ich ging gedanklich durch, worauf ich mich da einließ: Ziele
der Kirche sind
• die Ausrottung von Seuchen,
• die Errichtung fruchtbarer
Landwirtschaft in Öden und
• das Sichern von Gedeihen und
Wachstum durch Arbeit.
Die Bekämpfung von Seuchen ist passenderweise sogar eines
meiner aktuellen Forschungsprojekte! Ich arbeitete ja immer noch daran,
durch Austausch der Körperflüssigkeiten und andere
Behandlungen, die ansteckenden Krankheiten bei Untoten zu entfernen, um
sie gesellschaftsfähiger zu machen. Vor allem für
Haushaltsarbeiten und den Einsatz in der Landwirtschaft. Und ein
Amulett, das einen vor Krankheiten schützte, war beim Umgang
mit toten Körperteilen äußerst
nützlich.
Feindbilder und Frevel gegen Peraine sind Verbreitung von Krankheiten
und unnatürlichem Verfall, Vergiftung des Landes,
Vernachlässigung von Hilfsbedürftigen, Verschwendung
von Peraines Gaben, Prunk und Hochmut. Für einen so
Bescheidenen und hilfsbedürftigen Menschen wie mich kein
Problem.
Murthakh dagegen konnte mit dem Anhänger nichts anfangen und
tauschte ihn nach kurzer Überlegung gegen einen Krug Bier ein.
Der Pfleger ging großzügig über dieses
ketzerische Verhalten hinweg.
08. Phex 1031 BF
Branje verabschiedete sich zwei Tage später um ein paar Tage
ihren neuen Freund zu besuchen. Sie versuchte es erst mit ein paar
Ausreden, aber als sie bemerkte, dass wir wussten zu wem sie wollte und
auch nichts dagegen hatten, entspannte sie sich. Wir verabschiedeten
sie freundlich.
09. Phex 1031 BF
Nach ein paar angenehmen Tagen Faulenzen wurde ich morgens durch lautes
Geschrei geweckt. Die Einwohner waren in heller Aufregung. Jemand oder
etwas hatte eines der Felder völlig verwüstet.
Meterhoch aufgeworfene Hügel und tiefe Furchen durchzogen ein
Feld von der Größe eines Imman Stadions. Die Bauern
verdächtigten Wildschweine. Meine magische Analyse zeigte
jedoch eine leichte magische Reststrahlung. Und im ganzen frisch
gesäten Feld fand sich kein einziges Samenkorn mehr.
Eigentlich hätte ich nun meinen Golemkäfer auf die
Suche geschickt, aber der konnte ja nicht mehr fliegen. Ich bat Rodrigo
darum ihn zu reparieren. Die Herausforderung, die winzigen verbogenen
Flügel wieder zu reparieren spornte ihn an. Er kratzte,
schliff, schnitzte und bastelte mit seinen kleinsten Werkzeugen herum.
Für ein paar Aufgaben bastelte er sogar ein paar extra kleine
Werkzeuge.
Murthakh untersuchte die Spuren und fand welche, die zu einem
Wildschwein passten. Vorausgesetzt der Eber hatte die
Größe eines Rindes. Eines ungewöhnlich
großen Rindes.
Wir folgten den Spuren, aber sie endeten fünfzig Schritt vom
Waldrand entfernt von einem Schritt auf den anderen. Wir versuchten die
Spur in die andere Richtung zu verfolgen, aber auch hier
„begannen“ die Fußabdrücke
plötzlich aus dem Nichts.
Wir sammelten ein paar waffenfähige Männer und
warteten gemeinsam in einem Haus an der Palisade auf die Nacht. Wir
stellten Wachposten auf allen Feldern auf die in kurzen
Abständen ausgewechselt wurden.
Die Geweihten hielten einen Gottesdienst für alle
Kämpfer ab und riefen Rondra an, uns allen Mut zu schenken.
Ich war etwas skeptisch, ob dies etwas bringen würde.
Schließlich hatten wir hier ja keine Kriegerpriester sondern
Travia- und Peraine-Geweihte, die eher wenig Ahnung von diesen Sachen
haben. Murthakh konnte über dieses Gebaren nur lachen und zog
achselzuckend von dannen.
In der ersten Nacht kam es gleich mal zu einem Fehlalarm. Ein
Wächter bemerkte ein paar normale Wildschweine. Ein
Pärchen und ein paar Frischlinge. Wildschweine sind recht
gefährlich, aber die überraschten Tiere wurden von
unseren Kriegern und bis an die Zähne bewaffneten Bauern
geradezu überrannt. Damit war das Mittagessen für die
nächsten Tage gesichert.
10. Phex 1031 BF, nachts
Diesmal war der Alarm berechtigt. Ein totenbleicher Wächter
kam uns entgegengerannt als wir am Feld ankamen. Er musste nicht viel
erklären. Das laute Grunzen war weithin zu hören. Und
im hellen Mondlicht sahen wir einen kleinen Hügel der sich
grunzend durch das Feld pflügte. Wir fächerten uns
auf und stießen vor.
Rodrigo feuerte die schwere Windenarmbrust ab. Der Bolzen verschwand
ohne sichtbaren Effekt. Was uns entgegen stürmte, war ein
Wesen aus dem Alptraum eines Schweinezüchters. Ein
gigantischer Eber mit vier riesigen Hauern. Aus seiner Haut wuchsen
lange Dornenranken. Seine Augen leuchteten rot im Schatten der
Bäume.
Als es uns mit diesen rot-glühenden Augen anblickte,
ließ es ein furchterregendes Grunz-Brüllen
ertönen, das uns allen durch Mark und Bein fuhr. Doch ich und
die anderen spürten, wie die Furcht an unseren
gestählten Herzen abprallte und uns nichts anhaben konnte.
Vielleicht hatte der Gottesdienst vorgestern doch etwas bewirkt? Ein
neugieriger Blick auf Murthakh zeigte mir, dass jedoch auch er keine
Furcht kannte.
Helmbrecht und der Gänsehüter stürmten in
vorderster Front… und wurden voll über den Haufen
getrampelt.
Murthakh lief dicht hinter den beiden und konnte knapp zur Seite
ausweichen. Sein mörderischer Axthieb drang tief in die Haut
des Ebers, erzeugte aber keinen wirklich sichtbaren Effekt. Er
beschrieb das Gefühl später wie das Schlagen gegen
einen harten Eichenbaum.
Ich hatte große Mühe mich aus dem Nahkampf heraus zu
halten und trotzdem nahe genug zu bleiben um einen Odem zu wirken. Ich
musste wissen womit wir es zu tun hatten, bevor ich etwas dagegen
unternehmen konnte.
Der Odem zeigte mir dann, dass es sich um eine Chimäre
handelte. Eine Kombination aus einem Wildschwein-Eber, einem
Dämon, vermutlich einem Karmanath und… einem
Humus-Djinn. Wer erschuf denn so eine irre Kombination? Das Wesen
passte in kein Schema der üblichen Herrschaftsrituale und war
zweifellos völlig unkontrollierbar.
Obwohl ich mich am liebsten ausführlich darüber
aufgeregt hätte, wie unfähig der Erschaffer dieses
Monstrums vermutlich war, hatten wir jetzt andere Probleme. Ich ging
mein Repertoire durch. Der Dämonenbann konnte Daimonide
einschüchtern und im besten Fall in die Flucht schlagen. Der
Gardianum schützte nicht gegen Chimären. Der
Pentagramma war gegen so ein Mischwesen wirkungslos. Und meine Kenntnis
des Verwandlung Beenden war zu rudimentär, um gegen ein so
mächtiges Wesen zu funktionieren.
Während ich noch überlegte spannte Niam Rodrigos
Armbrust, währen dieser neben Murthakh in den Nahkampf ging.
Seine magische Waffe erzeugte ebenso heftige Wunden wie die
nichtmagische Axt des um einiges stärkeren Murthakh.
Obwohl unsere Kämpfer das Monster weiträumig umringt
hatten und von allen Seiten auf es eindroschen hinterließen
ihre Waffen, abgesehen von einem glücklichen Treffer des
Gänseritters, keine nennenswerten Spuren im Leib der
Chimäre.
Dafür wehrte sich das Ding nach Leibeskräften. Mit
seinen Hauern rammte es seine Gegner und wer getroffen wurde, wurde
meterweit weggeschleudert, wie Murthakh recht schnell am eigenen Leib
erfahren durfte. Es verbiss sich in die Beine unserer Kämpfer,
trat aus, wälzte sich herum und zu allem Überfluss
attackierte es auch noch mit den Dornenranken, die ihm überall
aus dem Leib wuchsen.
Thorwulf Guldenstetter stolperte über einen Erdbrocken so
unglücklich, dass er seiner Frau Alwine in den Schwertstreich
taumelte. Schwer verletzt brach er zusammen. Seine Frau und Hasrulf
zogen ihn außer Reichweite und übergaben ihn den
Geweihten, die sich wie zahlreiche Schaulustige in
„sicherer“ Entfernung eingefunden hatten.
Niam verlor die Geduld und ließ die Armbrust zurück,
während sie unauffällig um die Kämpfer
herumtänzelte und Rodrigo einen Duplikatus verpasste. Der Eber
war im Gegensatz zu vollen Dämonen unfähig ihn von
seinen beiden illusionären Doppelgängern zu
unterscheiden. Allerdings galt das auch für Niam. Als sie
nochmal versuchte einen Zauber auf Rodrigo zu wirken, fuhr ihre Hand
durch eine der Illusionen hindurch.
Dafür gelang es ihr, Murthakh zu beschleunigen. Auch Rodrigo
kämpfte plötzlich axxeleriert. Ich vergesse immer
wieder, dass er ja auch ein wenig herumstümpern kann. Doch der
Dämonen-Eber hatte solche Tricks ebenfalls auf Lager. Er
grunzte, seine Augen leuchteten auf, dann war er dreimal so schnell wie
vorher.
Mir war ebenfalls nichts Effektiveres eingefallen um den Eber zu
bekämpfen als die beiden effektivsten Kämpfer zu
unterstützen. Ich murmelte einen Attributo, um einen der
beiden stärker zu machen, doch dann wirbelte eine der
Dornenranken über die beiden hinweg und packte mich am Hals.
Ich lenkte den Zauber nun auf mich selber und hielt das Ding
mühsam davon ab mich zu erwürgen. Nach mehreren
Versuchen gelang es mir die Ranke zu zerreißen und zu
entkommen. Ein Axxeleratus aus meinem Stabspeicher brachte mich
außer Reichweite.
Trotz seiner offensichtlichen Resistenz gegen profane Angriffe hatten
die konzentrierten Angriffe inzwischen deutliche Spuren im Fell des
Dämonen-Ebers hinterlassen. Er blutete aus zahlreichen Wunden
und schien langsam panisch zu werden. Er schnaubte und
plötzlich pustete er aus seinem Rüssel eine widerlich
stinkende schwarz-grüne Wolke! Mir war sofort klar, was das
war! Dieser Schuft! Das war MEIN Zauber!
Vor meinem inneren Auge, sah ich schon wie wir alle keuchend in die
Knie brachen und uns die Seele aus dem Leib kotzten. Niams Stimme drang
in mein Ohr: „Und hätte ich einen anderen
Schöpfer, dann hätte ich wie immer einen
eingeschränkten Geruchs- und Geschmackssinn!“ Wie
kam sie nur auf sowas? Ich musste wohl schon von dem Tlacus Odem
benebelt worden sein – doch halt: Es geschah gar nichts! In
einem plötzlichen Geistesblitz erkannte ich, dass uns die vor
Krankeiten schützende Macht der Storchenamulette
beschützt hatte! Außer natürlich Murthakh.
Aber der hatte göttlichen Beistand offenbar generell nicht
nötig, denn auch er steckte die Gestanks-Geschwulst einfach so
weg und hieb wieder mit wuchtigsten Hieben auf das Vieh ein.
Ich zog mein Bannschwert und wartete eine günstige Gelegenheit
ab. Dann stürmte ich mit voller Wucht und der Geschwindigkeit
eines Elfenkriegers gegen das Monster. Mein Stich rammte die Klinge des
Kurzschwertes bis zum Heft in den Eber. Er erstarrte und brach zu
meiner völligen Überraschung vor mir zusammen. Es
zitterte noch einmal am ganzen Leib. Seine Dornenranken peitschten ein
letztes Mal auf, dann lag es still.
Murthakh sah mich ungläubig an. Rodrigo stieß
demonstrativ nochmal seine Klinge in den Leichnam, damit bloß
keiner auf die Idee kommen könnte, dass ich die Bestie
getötet hatte. Doch zu spät, alle hatten es schon
gesehen – und ich wurde von allen Seiten mit
Glückwünschen überschüttet.
Murthakh machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und ich kam zum
Schluss, dass es besser war, wenn er heute Nacht nicht wusste, wo ich
schlief.
Ich schlug vor den Kopf als Trophäe mit zu nehmen, aber einer
der Dörfler protestierte. Er meinte, es gäbe einen
professionellen Tierpräparator in Wutzenwald. Und der
würde seinen rechten Arm abhacken um so etwas
präparieren zu dürfen. Ich prüfte kurz
gedanklich nach, aber heute war nicht mein Tsa-Tag. Musste einfach
Glück sein.
Ich würde den Präparator überreden die
Knochen in dem Ding drin zu lassen. Wenn er das Fleisch konservierte
oder ersetzte, würde ich es in einen unglaublich
mächtigen Untoten verwandeln können. Und wenn er die
Knochen entfernen wollte, würde ich ihn wenigstens
überzeugen das Skelett zusammengesetzt aufzubewahren.
Das wäre dann eine perfekte Basis für ein untotes
Kampfmonster. Ich muss unbedingt einen Lehrer für
Chimärologie finden. Vielleicht hatte der Idiot der das hier
fabriziert hatte ein paar Standartwerke. Der alte Rotauge hatte damals
ja die Aufzeichnungen des berühmten Chimärologen Abu
Terfas verbrannt. Dieser Idiot.
Wir mussten hier unbedingt einen sicheren Aufenthaltsort finden. Mit
einer passenden Basis konnte ich endlich die hier im Überfluss
vorhandenen Materialien für meine lang ersehnten Experimente
nutzen.