Aus dem Tagebuch des Rodrik Bannwäldner
Travia 1034 BF
Gareth
Wir verbrachten ein gemütliches Mittagessen mit Murtaks
leckerem Eintopf aus drei Fleischsorten. Rind, Schwein und
„Frag nicht“.
Helmbrecht mampfte genervt vor sich hin, während wir uns immer
neue Namen für unsere Gruppe ausdachten. Mutter Gans hatte ja
leider versäumt sich einen Kodenamen für unsere
Gruppe auszudenken. Die Diskussion dauerte nun schon seit dem Morgen
an. Murtak weigerte sich einen Namen zu akzeptieren, der irgendeine
Form oder Variante von „Gans“ enthielt. Selbst
Rodrigos Vorschlag von „Ganz Böse Jungs“
brachte ihn sofort, trotz der grammatikalischen Unterschiede, in Rage.
Letztendlich einigten wir auf das Akronym für
„Travins Einsatzgruppe mit Alternativen
Moralvorstellungen“, kurz TEAM. Vor allem da wir wussten,
dass Mutter Gans alleine schon deswegen ausrasten würde, weil
sein richtiger Name darin vorkam.
Gerade als ich mich satt und zufrieden zurücklehnte, huschte
Niam zum Fenster. Sie hatte zwar mit dem Rücken zum Fenster
gesessen, aber als einzige bemerkt, dass das Klappern einer
vorbeifahrenden Kutsche direkt vor unserem Haus geendet hatte.
Ich sah zum anderen Fenster hinaus. Auf der Straße stand
eines der typischen Gefährte der
Straßenhändler. Überfüllt mit
Töpfen und anderem schwer erkennbaren Gerät. Ein
Reiter daneben stieg ab und gesellte zu dem Kutscher und jemandem, der
hinten auf der Kutsche mitgefahren war. Die drei trugen die richtige
Kleidung, aber ihr Körperbau und ihre Bewegungen schrien:
„Berufsschläger“.
Aus der Kutsche stieg der „Händler“. Die
Kleidung passte ungefähr, war aber viel zu teuer, die Schuhe
zu sauber und seine Hände hatten zu viele große
glitzernde Ringe.
Ich wartete, bis ein Schläger an unserer Tür klopfte.
Natürlich wollten sie zu uns. Ich öffnete und
begrüßte ihn höflich. Er kündigte
seinen Herrn, den Baron von Ogermarschen an. Eine Baronie, in der es
kaum Marschen und keine Oger gibt. Ich bat die Gruppe herein.
Während ich die Rolle des harmlosen und freundlichen
Gastgebers wie immer perfekt spielte, wurde der Eindruck von der Gruppe
grimmiger Meuchelmörder hinter mir massiv unterminiert. Martuk
spielte offen an seiner Axt herum, Helmbrecht sah aggressiv
missbilligend drein. Niam war im Moment nicht zu sehen, da sie sich
draußen versteckte. Vermutlich um ihnen . Also wie immer. Nur
Raun, der einzige echte Psychopath unserer erlesenen Gruppe, wirkt wie
ein harmloser Gelehrter, der sich verlaufen hat und überlegt,
wie er jetzt wieder Heim kommt.
Der Baron begrüßte uns etwas herablassend und
verkündete, dass er wüsste, dass wir für
Travin arbeiten würden. Und er wollte unsere Gruppe
inoffiziell „ausleihen“.
Dazu gab es eine Menge Diskussion. Vor allem von Helmbrecht, dem Mann,
den wir immer als Führer an die Spitze stellen, damit er Zorn
und Angriffe auf sich zieht.
Ich ließ den Baron dann erstmal seinen Auftrag
erläutern. Offenbar hatte eine Magierin am südlichen
Rand von Gareth damit begonnen Waisenkinder mit magischem Potential zu
sammeln und auszubilden. Ausgerechnet am Rand der
Dämonenbrache. Während das Grundsätzlich
kein Problem war, gab es Hinweise, dass sich auch Yantek von Ysla an
der Akademie aufhielt. Ein Lieblings-Schüler von Galotta und
damit vermutlich ein fähiger Magier. Baron Ogermarschen fand
es natürlich bedrohlich, dass der Schüler des
größten Reichsverräters Einfluss auf
magisch begabte Kinder hatte.
Wir sollten die Akademie daher als angebliche Kontrolleure der
Weißen Gilde besuchen und überprüfen.
Ich erinnerte mich vage, dass Magister von Ysla einmal eine
Gast-Vorlesung in Brabak zum Thema fortgeschrittener Bannkreise
gehalten hatte. Er galt dort als ein Experte schneller und doch
sicherer Beschwörungen. Damit kam er in Brabak allerdings
nicht so gut an, wie er erwartet hatte. Die Brabaki bevorzugen schnell
und einfach. Sicherheit hat nur eine recht niedrige Priorität.
Wir feilschten noch ein Wenig über die Belohnung. Helmbrecht
wollte die Blutproben zurück, die Mutter Gans von uns
gesammelt hatte, aber das lag natürlich außerhalb
der Macht des Barons. Ich musste mir einige Kommentare verkneifen. Kein
Magier der etwas auf sich hält, würde eine arkane
Verbindung irgendwo lagern, wo andere rankamen. Schon gar nicht ein so
fürchterlich unfähiger Agent wie der Herr Baron. Dazu
hätten mich die Blutproben mehr beunruhigt, wenn Travin ein
Druide wäre, die auf derartige Magie spezialisiert waren. Ob
Travin wirklich etwas mit Blut anfangen konnte, erschien mir recht
unwahrscheinlich. Allerdings war ich mir auch nicht so sicher, dass ich
mein Leben darauf verwetten würde, dass er bluffte.
Wir einigten uns dann auf zusätzliche Ausstattung für
unser Hauptquartier. Vor allem vernünftige Betten für
alle.
Jeder Mitarbeiter der KGIA sollte einen angemessenen Kodenamen haben.
Ich beschloss dem Baron Ogermarschen den Kodenamen: Papa Ogerschleim zu
geben.
Papa Ogerschleim versuchte noch uns weis zu machen, dass er mit seinem
Ring mit Travin kommuniziert hatte, aber durch die Augen des
Golemringes konnte ich erkennen, dass der Ring so wenig magisch war wie
der Kerl selbst. Pathetisch. Selbst für einen KGIAler war so
ein Verhalten peinlich.
Niam erkundete die Umgebung der „Akademie“ und fand
ein verlassenes Bauernhaus. Und einen Pilzsammler, der ihr einige
leckere Pilze verkaufte. Und ihrem Grinsen nach, auch ein paar andere
Dinge. Ich halte nichts von berauschenden Drogen. Magie ist schon
gefährlich genug, wenn man nüchtern ist.
Am nächsten Tag ging Niam zu dem Bauernhaus und ich ging mit
den anderen als Visitator der Gilde zu der Akademie.
Ich hatte mir eine Reiserobe des Ordens der Mephaliten besorgt und
holte meine gefälschten Ausweispapiere mit dem Tarnnamen Elon
Corhelan heraus. Der Rest der Gruppe war als Begleitschutz dabei, da
wir im Anschluss angeblich nach Wehrheim reisen sollten, um dort, wie
für Mephaliten üblich, nach magiebegabten Kindern zu
suchen.
Die Akademie stellte sich als großes 3-stöckiges
Gutshaus am Rand der Dämonenbrache heraus. Keine Mauern oder
Zäune, was ich etwas seltsam fand.
Als wir klopften, öffnete uns ein buckliger Diener, der kaum
sprechen konnte, ohne Speichel in alle Richtungen zu spritzen. Sehr
klassisch. Gefiel mir.
Die Leiterin des Waisenhauses war Magistra Ferrja Obstacker. Sie
begrüßte uns freundlich und war nur etwas
verwundert, da doch schon ein Visitator der Gilde anwesend war.
Magister Aurelius von Streitzig war gerade oben und beobachtete eine
Vorlesung des Arkanen Hesinde Geweihten Norbo Eschendhsl.
Ich überging das mit der Sorge, die alle wohlmeinenden
Menschen für die Kinder der gequälten Stadt hatten.
Da waren die Gilde und der Orden der Mephtaliten wohl gleichzeitig auf
die gleiche Idee gekommen. Wie immer, ohne sich abzusprechen.
Innerlich fluchte ich. Hätte ich mich, wie
ursprünglich geplant, als Mitglied der Weißen Gilde
ausgegeben, hätte das nicht funktioniert. Das war doch wohl
der peinlichste Fall von mieser Organisation, die einem Geheimdienst
passieren konnte. Langsam verstand ich, wieso die Mitarbeiter der KGIA
im Geheimen arbeiteten. Mir wäre es auch peinlich zuzugeben,
für so einen immer mehr im Chaos und Unfähigkeit
versinkenden Verein zu arbeiten. Vermutlich gab es die KGIA schon seit
Jahren nicht mehr und alle die behaupteten für sie zu
arbeiten, waren Betrüger. Mutter Gans wunderte sich vermutlich
nur, wieso so wirre Berichte reinkamen. Und dafür so viele
Spesenrechnungen.
Nachdem wir gemeinsam über das zunehmende Chaos in der Stadt
gelacht hatten, fragte ich die Magistra zu ihren übrigen
Angestellten aus.
Neben dem Hesinde Geweihten gab es noch den riesigen Thorwaler Tjolf
Walbergson und die Gouvernante Frau von Wetterscheidt.
Dem Thorwaler hatte sie einst das Leben gerettet und seither lief er
ihr nach.
An der Schule hielten sich 15 Kinder im Alter zwischen 6 und 15 Jahren
auf. Die meisten von geringem magischem Potential. Man hatte keinen
richtigen Lehrplan, immerhin war das ja auch keine offizielle Akademie.
Die Magistra freute sich über die Aussicht anerkannt zu werden
und auch über das Interesse. Sie hoffte auf ein paar
offizielle Zuschüsse, da sie bisher das Unternehmen komplett
aus ihrem Familienvermögen finanzierte.
Später beim Essen unterhielt ich mich mit den Angestellten.
Der Hesinde Geweihte gab sich extrem Passiv-Aggressiv. Kontrolliert zu
werden, passte ihm überhaupt nicht. Auch wenn ich ihm mehrfach
versicherte, dass es an der Schule nichts auszusetzen gab und sich
meine Vorgesetzten einfach Sorgen um die Kinder machten.
Den zwergischen Koch nahm sich Murtak vor. Wobei er vermutlich nur neue
Kochrezepte aus ihm heraus bekam. Als sie das Essen zusammen
heraustrugen erwähnten beide immer wieder mal das
Gewürz „Kerbel“ und fingen hysterisch zu
lachen an. Ich verstand das nicht. Musste ein Koch-Witz sein.
Ich setzte mich dann neben Frau von Wetterscheidt, um diese auch
auszuhorchen. Diese stockgerade, hakennasige Gouvernante kritisierte
erstmal völlig irrelevante Kleinigkeiten in den
Essgewohnheiten der Kinder. Die waren in meinen Augen geradezu
mustergültig. Nur weil ein Junge den Löffel nicht
perfekt gerade parallel zum Tisch zum Mund führte und eines
der Mädchen es wagte den Suppenlöffel
tatsächlich in den Mund zu schieben…
Sie erzählte dann auch ganz offen, dass Sie häufig
mit dem Rohrstock arbeiten musste und immer noch daran arbeitete, die
Erlaubnis für die Benutzung des Paddels bei den
älteren Schülern zu bekommen. Magistra Obstacker
zögerte noch das zu erlauben. Ich gab mir Mühe
besonders freundlich und nett zu der Dame zu sein. Immerhin hatte sie
nur noch wenige Tage zu leben. Meine Zeiten im Waisenhaus
mögen schon eine Weile her sein, aber ich hatte meine alten
Schwüre nicht vergessen. Und dieses Mal hatte ich nicht nur
ein altes rostiges Brotmesser. Ich hatte meine Magie. Und meinen
Meucheldolch.
Ach ja… mein treuer Dolch. Vasilys Verhängnis. Den
trug ich nun schon bei mir, seit wir ihn aus Magister DeLinths
Rücken operiert hatten. Immer wieder hatte ich mir
vorgenommen, ihn zu verzaubern und in ein Artefakt zu verwandeln. Aber
ich konnte mich einfach nicht entscheiden, was genau ich damit tun
sollte.
Ein Silentium, der das Ziel daran hinderte zu schreien? Ein
Somnigravis, der es in jedem Fall bewusstlos machte? Aber nein, das
hatte ich ausgeschlossen, da der Zauber beim herausziehen der gezackten
Klinge sicherlich gleich wieder fallen würde. Ich
liebäugelte noch immer mit einem Nephazzim, der direkt in das
Opfer beschworen wurde. Aber einen Dämon herum zu tragen,
hatte diverse Nachteile. Zumindest wenn man sich, wie in Gareth, oft in
der Nähe von Tempeln und Geweihten aufhielt.
Während die Wetterscheidt über diverse
Regelverstöße der Kinder empörte und ich im
automatischen Zustimmungsmodus brav an den richtigen Stellen nickte
oder betroffen das Gesicht verzog, sah ich mir die Kinder durch die
Augen meines Golemkäfers an. Die Ansicht von Magistra
Obstacker, dass sie hoffte einige davon zu vollen Magiern auszubilden,
erschien mir sehr optimistisch. Die Auren der Kinder waren alle recht
schwach. Bei 15 Kindern ein überraschend schlechter Schnitt.
Hatten die anderen Akademien alle stärker begabten Kinder
für sich beansprucht?
Ich bekam noch mit, dass Raun eines der Kinder untersuchen sollte,
nachdem er erzählt hatte, dass er auch in der Seelenheilkunde
geübt war. Ich bot natürlich an ihn zu begleiten.
Möge Praios mir seine Aufmerksamkeit schenken, wenn ich ein
unschuldiges Kind mit dem Irren alleine ließ.
Wir gingen dann mit der 11jährigen Verda in ein abgelegenes
Zimmer. Die Kleine war sehr höflich und schüchtern.
Ihre Haltung, immer mit den Haaren vor dem Gesicht, und die
Angewohnheit niemandem ins Gesicht zu sehen, wirkten irgendwie
verstörend.
Raun begann damit, beruhigend auf sie einzureden. Sie sah kurz auf und
meinte: „Du hast schreckliche Dinge getan. Du bist nicht
nett.“
Meine Nackenhaare richteten sich steil auf. Ich richtete den
Golemkäfer auf sie. Ihre Aura wirkte geschwächt und
Magie floss sichtbar aus ihr heraus. Zwei Ströme verbanden sie
mit Raun und mir. Ihre Aura deutete nicht auf dämonische
Besessenheit hin. Es war eher wie bei Rodrigo, eine ungeformte Gabe.
Gedankenlesen? Ernsthaft?
Ich sah ihr in die Augen: „Du kannst Gedanken
lesen?“
„Manchmal.“, antwortete sie.
„Dann weißt du, dass ich dir nichts tun werde.
Richtig?“
Sie nickte.
„Und dass du mir vertrauen kannst.“
Sie schüttelte den Kopf, lächelte aber dabei.
Kluges Kind.
Ich wirkte einen Blick aufs Wesen auf sie. Sie war intelligent,
körperlich ausgezehrt und hatte mehrere Affinitäten:
Dämonisch, Hellsicht, Limbus und… etwas das ich
nicht ganz identifizieren konnte. Mit so einem Talent hätte
ich sie für fast jede Summe nach Brabak verkaufen
können. Ich hatte noch nie in Erwägung gezogen
jemanden auszubilden, aber sie würde eine herausragende
Schülerin für einen Schwarzmagier sein. Bevor ich sie
fragen konnte, was sie mit ihrem Leben vorhatte, erzählte sie
etwas, dass meine Aufmerksamkeit wieder voll auf die Situation in der
Schule lenkte.
Sie berichtete uns vom Schwarzen Mann, der nachts in die Zimmer der
Kinder kam. Groß, dunkle Robe, Kapuze die das Gesicht
verdeckte. Konnte Yantek von Ysla sein, oder auch nicht. Sie hatte nie
sein Gesicht gesehen. Manchmal brachte er Bonbons mit, die sie besser
schlafen ließen. Mir schwante übles. Vermutlich
labte er sich an der Magie der Kinder. Deswegen hatten alle so schwache
Auren. Ob er einen magischen Raub verwendete oder ein Vampir war und
mit der Magie auch ihr Sikharyan aussaugte, konnte ich so nicht
feststellen. Auch nicht wer alles eingeweiht war.
Sie erzählte auch, dass die Gouvernante sie oft in einem
Zimmer die älteren Kinder die jüngeren
verprügeln ließ. Und der Beschreibung nach,
bereitete ihr das belkelelgefällige Lust. Ich seufzte
innerlich. Ich konnte sie doch nur einmal erdolchen. Das erschien
irgendwie nicht ausreichend. Vielleicht sollte ich lieber einen
Dämon beschwören und ihm befehlen sie fest zu
umarmen. Und dann beide in die Niederhöllen bannen.
Raun überzeugte sie, sich nachts seiner Magie zu
öffnen. Er würde durch ihre Augen sehen, wenn der
Schwarze Mann das nächste Mal kam. Und dann würden
wir uns ausführlich mit ihm unterhalten.
Was war er wohl… Ein Schwarzmagier aus der Schule Galottas?
Vielleicht war es aber auch ein Vampir. Oder gar einer der seltenen
freien Dämonen aus der Brache oder den Überresten der
fliegenden Stadt.
Wir beschlossen auf jeden Fall das Angebot an zu nehmen und in der
Scheune zu übernachten. Mit etwas Glück kam der
Schwarze Mann auch heute wieder vorbei.