Aus dem Tagebuch des Rodrik Bannwäldner
Travia 1034 BF
Gareth
Raun bastelte eine kleine Puppe mit Haaren von Verda und führt
ein Druidenritual durch. Wie immer recht langweilig, da er nur vor sich
hinstarrte. Keine gesprochenen Formeln, keine interessanten Gesten.
Damit konnte er immer wieder mal durch Verdas Augen sehen und sie sogar
steuern.
Ich befahl meinem Golemkäfer sich am Schlafzimmerfenster der
Jungs zu verstecken und den Raum im Auge zu behalten. Damit hatten wir
beide Schlafsäle abgedeckt.
Wir gingen nach dem Abendessen in die Scheune und warteten. Die
Magistra Obstacker machte eine Runde mit dem Thorwaler um das
Gelände. Niam schlich ihnen nach. Als sie nach einer Stunde
zurück kam, war sie enttäuscht. Die beiden hatten
sich nur über Belanglosigkeiten unterhalten.
Später kamen die Schüler zu einer Sternkundestunde
heraus, aber der Himmel war zu bewölkt für komplexe
Erkenntnisse. Außerdem begnügten sie sich mit den
rudimentärsten Sternkonstellationen. Die interessanten
Faktoren, wie die aktuell geschlossene Pforte von Uthar, die
Untotenbeschwörungen erleichterte, wurden gar nicht
erwähnt.
Die Kinder gingen zu Bett und dann begann das Warten. Bis zur
Mitternachtsstunde passierte gar nichts. Dann horchten Rodrigo und ein
paar der anderen plötzlich auf und eilten zu den Fenstern. Sie
spähten eine Weile hinaus. Niam schlich hinaus und kam dann
zurück mit einem leisen: „Vier Untote. Ein
gerüsteter Krieger und sein Gefolge. Ein
Bogenschütze, ein Magier und ein
Speerträger.“
Ich fragte sie, ob sie sicher war, dass es Untote waren. Zumindest bei
dem Krieger an der Spitze war sie sicher. Der hatte keinen Kopf, was,
wie ich zugeben musste, ein deutlicher Hinweis war.
Ich zog meinen Magierstab aus seinem Versteck und legte einen
Schlafgiftpfeil ein. Die anderen machten ebenfalls ihre Waffen bereit.
Helmbrecht wählte zwischen Breitschwert und Rabenschnabel. Er
entschied sich für den Rabenschnabel, eine gute Wahl, und
gürtete für alle Fälle noch das Breitschwert
um.
Wir schlichen hinaus. Niam und Raun eilten zur Hauptgebäude,
für den Falls, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver
handelte.
Wir warteten ab um den langsam heranschlurfenden Untoten einen
Hinterhalt zu stellen. Doch die Untoten hatten andere Pläne.
Sie blieben stehen. Dann hielt der Bogenschütze einen Pfeil
zur Seite zu Mann, der Robe und Stab trug. Es berührte den
Pfeil und ein schwarzes Feuer flackerte um die Spitze auf. Der
Bogenschütze legte gemütlich an und legte ihn auf die
Sehne.
Helmbrecht stürmte los: „Er darf das Haus nicht in
Brand schießen!“ Mit einem Sprint legte er die
Strecke zurück, den Schild immer zwischen dem Haus und dem
Bogen. Dann rammte er den Untoten einfach um. Wir anderen folgten ihm,
während ich mich mit dem Blasrohr im Sichtschatten von Murtak
hielt. Als er zur Seite wich, schoss ich auf den Magier. Der
Blasrohrpfeil traf, zeigte aber keine Wirkung. Unter der Kapuze blitzte
ein Skelettschädel auf. Ein untoter Magier? Verdammt.
Rodrigo fegte auf den Magier zu und fuchtelte mit seinem Säbel
herum. Ich zögerte mit meinem eigenen Angriff. Wieso stellte
der sich ungeschickter an als der Skelettkrieger? War Rodrigo nicht
Soldat? Hatten die den nur rekrutiert weil er gut aussah, oder was?
Ich wartete bis er den Magier ablenkte, rannte an ihm vorbei und schlug
ihm das Bannschwert voll ins Gesicht. Die Klinge prallte kurz vor dem
Knochen gegen einen Widerstand. Ein Armatrutz? Durften Untote das?
Wieso konnten meine das nicht?
Ich sah mich um. Helmbrecht hatte den Bogenschützen
zurückgeworfen und stürzte sich nun auf den am Boden
liegenden Untoten. Er warf den Rabenschnabel hoch in die Luft, zog
blitzschnell das Schwert und rammte es in einer einzigen
fließenden Bewegung in den Untoten. Dann hob er die Hand und
der Rabenschnabel fiel hinein. Er drehte sich mit ausgebreiteten Armen
herum, wie um den Jubel der Menge entgegen zu nehmen. Aber alle waren
gerade im Kampf. Niemand außer mir hatte sein
Meisterstück gesehen. Bevor sein Blick zu mir kam, wandte ich
mich ab und tat so, als hätte ich die ganze Zeit den Magier im
Auge gehalten.
Rodrigo fuchtelte weiter mit seinem Säbel. Der Magier hob die
Faust. Eine heisere Stimme rief: „Horriphobus!“
Ein schriller weibischer Schrei entfuhr dem Söldner, dann
rannte er davon.
Murtak stürmte zu mir und warf die Barbarenstreitaxt auf einen
der Untoten. Dieser verging.
Dann schnappte er den Magier und warf ihn in hohem Bogen nach hinten.
Der Magier fiel direkt vor den fliehenden Rodrigo. Ein weiterer schrill
Schrei ertönte und der Söldner wechselte die Richtung.
Der Magier stand auf und wandte mir die Faust zu:
„Horriphobus!“
Ich hatte vor dem Kampf einen Psychostabilis auf mich gewirkt, der
meine an sich schon hohe magische Resistenz noch erhöhte. Ich
grinste ihn nur unbekümmert an. Dann durchschlug sein Zauber
meine Barrieren. Einen Moment durchdrang mich Panik. Weniger von dem
Zauber, der nur stark geschwächt durchgedrungen war. Nein,
Panik, weil etwas meinen geistigen Schutz überwunden hatte,
den ich für undurchdringlich gehalten hatte. Ich lenkte meine
Furcht in einen Angriff. Mehrere Hiebe mit dem Bannschwert trafen,
richteten aber kaum Schaden an. Dann stürzte sich Murtak auf
ihn und ich hatte einen Moment, um zu überlegen. Kein
gewöhnlicher Untoter war so klug. Da musste ein Nepphazim drin
stecken.
Ich konzentrierte mich. Der Blick des Untoten fuhr zu mir
herüber, als er spürte, wie mein Wille den Seinen
umschlang. Doch zu spät. Einen Moment spürte ich den
Widerstand seines Beschwörers, aber dann brach ich durch und
übernahm die Kontrolle. Ich deutete auf den Boden:
„In den Staub! Knie vor deinem Herrn!“
Sofort brach er auf die knochigen Knie nieder. Murtak sah mich
misstrauisch an. Ich zuckte nur die Schultern: „Mein Fehler.
Ich dachte, ich können keinen Dämon
übernehmen, den ein Lehrling des großen Galottas
beschworen hat. Mir fiel zu spät ein, dass Galotta immer ein
lausiger Beschwörer war. Der Nephazzim hat die anderen Untoten
erhoben und kontrolliert. Das hätte in drei
Herzschlägen zu Ende sein können.“
Ich begann schon damit, ihm zu befehlen in die Niederhöllen zu
fahren, als Helmbrecht mich aufhielt: „Warte! Frag ihn, wer
ihn gerufen hat.“
Eine gute Idee. Ich befahl dem Nepphazim: „Antworte mir
wahrheitsgetreu! Wer ist dein Meister?“
„Ihr seid das.“ Er grinste mich mit seinem
Totenschädel an. Ich wusste, dass er grinste. Im
Verhör war er äußerst unkooperativ:
„Nein, wer hat dich in diese Sphäre
gerufen?“
„Ich kenne seinen Namen nicht.
„Wie sah er aus?“
„Wie ein Mensch halt.“
„Wo ist dein Meister jetzt?“
„Ich knie vor ihm.“
„Nein, ich meine, dein vorheriger Meister. Wo ist
der?“
„Weiß ich nicht.“
„Was war dein Auftrag?“
„Erhebe diese Gruppe Untoter, zünde die Scheune an,
töte alle die darin sind und alle die versuchen dich
aufzuhalten.“
Nachdem mir keine sinnvollen Fragen mehr einfielen, schickte ich ihn in
die Niederhöllen zurück.
Wir kehrten in die Akademie zurück. Dort wurden wir von Niam
und Raun empfangen. Sie trugen gerade einen Mann nach unten, der einen
Suppentopf über den Kopf trug und mit Streifen aus Stoff
gefesselt war. Sie nahmen kurz den Suppentopf ab und ich erkannte den
Hesinde Geweihten.
Sie erzählten, dass sie durch Verdas Augen etwas
Verdächtiges gesehen hatten. Als sie nachforschten, wurde
Verda von einem Mann betäubt. Sie stürmten in den
Jungenschlafsaal und fanden den angeblichen Hesinde Geweihten mit einem
quallenartigen Dämon in der Hand im Raum stehen. Von dem
Dämon gingen leuchtende Tentakel aus, die den Kindern Magie
aussaugten. Die beiden überwanden den Magier und Raun stopfte
den Dämon ein einen Kissenbezug.
Die anderen Bewohner der Akademie hatten nichts mitbekommen und
schliefen immer noch. Trotz Kampflärm im Hof und im Schlafraum.
Ich pfiff meinen Golemkäfer zu mir und untersuchte die kleine
Verda. Sie hatte zum Glück keinen Schaden genommen und nur
einen Schlafzauber eingefangen. Wir trugen sie in ihr Bett
zurück und deckten sie zu.
Anschließend analysierte ich vorsichtig den Dämon.
Das Ergebnis war erstaunlich. Es handelte sich um den
legendären Marhamor. Das vielfache Begreifen. Ein
eingehörnter Dämon, der für den
Beschwörer mehrere Ziele gleichzeitig berühren
konnte. Hier hatte er damit alle Kinder gleichzeitig ausgesaugt.
Die Legenden berichten von einem Schwarzmagier, der mit Hilfe von
Marhamor eine ganze angreifende Gegnergruppe mit einem Schwarz und Rot
Fluch belegt hatte. Das erschien mir immer dumm. Der Zauber wirkt viel
zu langsam. Seine Gegner waren sicher alle letztendlich gestorben,
hatten aber zweifellos noch genug Zeit gehabt, ihn in kleine
handgerechte Stücke zu schneiden.
Helmbrecht hatte derweil Rodrigo losgeschickt um eine Kutsche zu holen.
Nachdem ich meine Kameraden informiert hatte, womit wir es zu tun
hatten, durchsuchten Raun und Helmbrecht das Gebäude. Im Raum
des Geweihten wurden sie nicht fündig. Ich hatte derweil etwas
wichtigeres zu erledigen. Ich spazierte in den Raum der Gouvernante.
Sie lag allerdings nicht wie erwartet in züchtigem Nachtgewand
unter einer rauen Wolldecke, sondern ausgestreckt auf einem
Seidenlaken. Die Brüste entblößt und
komische federgetriebene Klammern in den Händen. Eine davon
war an ihrer Brustwarze befestigt. Ich sah mir das eine Weile
kopfschüttelnd an. Tat das nicht weh? War sie etwa
tatsächlich eine Belkelel Paktiererin? Eine umfangreiche
Analyse würde das zeigen können.
Andererseits… wozu. Änderte ja nichts. Ich zog den
Meucheldolch, zielte und stieß ihn dann in ihr schwarzes
Herz. In der nächsten Bewegung riss ich ihn wieder heraus und
zog ihn über ihre Kehle, was ein breites Lächeln
hinterließ. Mit dem in meinem Gesicht sogar zwei
Lächeln.
Ich wischte den Dolch an ihrer Decke ab, steckte ihn wieder ein und
ging fröhlich pfeifend davon.
Wir transportierten dann unseren Gefangenen zu unserem Hauptquartier.
Den Dämon brachte ich in einem Bannkreis im Keller unter. Der
Magier wurde in Ketten gewickelt, geknebelt und seine Augen verbunden.
Mutter Gans kam nach einer Weile vor und ließ uns berichten.
Er hatte Papa Ogerschleim nicht geschickt.
Er verhörte den Gefangenen sehr geschickt. Respondami, Blick
in die Gedanken, Drohungen.
Der Kerl war ein Paktierer des Amazeroth. Und er arbeitete für
Yantek von Ysla. In seinem Auftrag hatte er die Akademie unterwandert,
dort die Dämonen beschworen und regelmäßig
zu Yantek geschickt. Wofür dieser so viel magische Kraft
sammeln wollte, wusste er nicht.
Das gefiel mir ganz und gar nicht. So lange Vorbereitungen und soviel
brauchte man nur für wirklich mächtige Rituale.
Yantek.
Mutter Gans verhinderte, dass ich den Wahren Namen von Marhamor erfuhr
indem er ihn mit einem Blick in die Gedanken direkt aus Yanteks
Gedächtnis holte.
Ich lungerte enttäuscht in meinem Zimmer, als Niam etwas
später vorbeikam. Sie bot mir an, mich eine halbe Stunde mit
dem Magier alleine zu lassen, den sie gerade bewachen sollte. Genug
Zeit, dass er mir den wahren Namen beibringen konnte. Das tat er
vermutlich nur um Travin zu ärgern.
Ich hasse es, jemandem etwas schuldig zu sein. Ich würde mir
etwas nettes für Niam ausdenken müssen. Vielleicht
konnte ich ihr ein paar Elixiere zusammenbrauen. Oder ich verwandelte
im nächsten Hesinde eine ihrer Waffen in ein Bannschwert. Bei
anderen Menschen würde ich das einfach als
Überraschung erledigen, aber Niam mag keine
Überraschungen. Wenn ich mich an ihren Waffen ohne Erlaubnis
vergriff, würde ich nur mit viel Glück die Hand
behalten.
Den Rest des Abends verbrachte ich damit, für Travin eine
Zeichnung von Papa Ogerschleim anzufertigen. Bannkreise lagen mir zwar
mehr, aber mittlerweile war ich auch nicht schlecht in
Porträts.
Er entschwor dann noch den Dämon. Natürlich nachdem
er mit einem Silentium verhindert hatte, dass ich seine gesprochene
Formel mit dem Wahren Namen hören konnte. Ich nutzte
stattdessen den Memorans, um mir jede seiner Gesten genau
einzuprägen.
Am nächsten Tag informierte er uns, dass an der Akademie eine
Belkelel Paktiererin ermordet aufgefunden wurde. Wir sahen ihn alle nur
ratlos an.
Er war natürlich überzeugt, dass einer von uns
dahinter steckte. Andererseits hatte er an der Ermordung einer
Paktiererin nichts einzuwenden. Er ließ es daher auf sich
beruhen. Er hatte der Magistra Obstacker versprochen, dass die
Ereignisse geheim gehalten werden würden. Das sich zwei von
drei Lehrern als Paktierer erwiesen hatten, hätte der Schule
schwer geschadet. So würde er dafür sorgen, dass sie
ein paar anständige Lehrer bekam. Wenn möglich
darunter eine Travia Geweihte, was ich ebenfalls für eine gute
Idee hielt.