Aus dem Tagebuch des Magiers Rodrik Bannwäldner
Nach unserer ruhmreichen Rückkehr erstatteten wir dem Baron
Bericht. Dann verteilten wir uns um unsere jeweiligen Projekte zu
organisieren.
Fobosch verbrachte Stunden mit der dürren Frau Hungertuch und
dem Schmied um einen Vertrag über die Nutzung seiner Werkstatt
auszuhandeln.
Danach nervte er mich mehrfach mit Ideen für einen
ultrasicheren Safe. Als ob ich einen zwergischen Schlossmacher und
Feinschmied beschwören kann. Nun… genau genommen
gibt es dafür sicher einen passenden Dämon aus
Agrimoths Domäne, aber das erschien mir ein zu
großes Risiko, solange mir Fobosch nicht erklärt,
was genau er so sicher aufbewahren will.
Ich hatte das meiste Gold unterwegs schon wieder für Zutaten
für Alchemie verbraucht und konnte mich jetzt endlich an die
Arbeit an meinem Blutersatzstoff für Untote machen. Meine
Alchemieschale sieht zwar eher wie ein Hexenkessel aus, aber meine
Pläne waren auch für überwiegend
große Mengen. Der Rest von Nekrorius Labor war für
mein Projekt trotz teilweise fehlender oder beschädigter
Ausrüstungsteile eher zu gut ausgestattet, da das Elixier
keine speziellen Destillationsvorgänge oder luftfreie
Brennöfen oder ähnliches benötigt. Ich hatte
es daher auf das Niveau einer Hexenküche ausgelegt, wie wir
ein Labor mittlerer Komplexität nennen. Ich begann mit dem
ersten ernsten Brauvorgang. Vorversuche hatten es erfordert einige der
geplanten Zutaten zu ersetzen. Das Ziel war eine Substanz mit
ähnlichem Salzgehalt wie Blut, die eine konservierende,
sterilisierende und idealerweise sogar regenerierende Wirkung hatte.
Die Unauer Salzlake, die ich teuer von einem Importeur in Gareth
gekauft und von Gareth in die Wildermark geschleppt hatte, war
völlig nutzlos. Die Salzlösung hatte eine
inhärente Affinität die untotes Fleisch zerfallen
ließ, statt es zu stärken und zu reinigen.
Wie sich herausstellte war die Basis für den Blutersatzstoff
eine Mischung aus hochprozentigem Alkohol und Alraunensaft. Darin
löste ich als Symbol für Blut pulverisierten Rost und
Salz auf. Das Elixier soll die Verwesung von Untoten verhindern und
ihnen eine inhärente Regeneration verleihen. Dazu sollte er
die ganzen ekligen Krankheiten entfernen, die Zombies gerne verbreiten.
Dazu brauchte es weitere Zutaten. Donfstängel (ein bekanntes
Fiebermittel) und Zwölfblatt, das in reiner Form vor jeder
Ansteckung schützt.
Für den Regenerationseffekt brauchte es noch eine heilende
Zutat. Wirselkraut zeigte keine Wirkung auf Untote. Einbeere ebenfalls
nicht. Selbst der teure Würgertee funktionierte nicht. Abends
saß ich deprimiert über meinen Notizen, bis Raun
vorbeikam, einen Blick darauf warf und mich fragte, warum ich nicht
einfach Rote Pfeilblüten versuchte. Die waren nicht nur
billiger, sie funktionierten auch.
Am Schluss hatte ich ein kleines 6 Liter Fässchen mit dem
Blutersatzstoff. Jetzt brauchte ich nur noch eine Leiche. Aber
ausgerechnet diese Woche natürlich beschloss niemand uns zu
überfallen oder anzugreifen oder Selbstmord durch Pilze
sammeln zu begehen. Ich würde abwarten müssen, bis
das nächste Immanspiel stattfand. Sobald Murthaks Trollzacker
eintrafen, würde es dabei genügend Tote geben.
Während ich noch in der Taverne meinen Erfolg mit einem guten
Mittagessen feierte, wurde ich von der Stadtwache alarmiert. Eine
verdächtige Person war durch das Stadttor getreten und fragte
nach den neuen Herrschern der Stadt. Das TEAM versammelte sich und wir
begrüßten eine Frau von Mitte dreißig. Sie
stellte sich als Purothea Schlangentochter, eine Drakoniterin des
Arkanen Zweiges der Drakoniter vor. Sie redete schnell und viel und ich
merkte schnell, dass sie uns sehr geschickt aushorchte. Aber wir hatten
ja nichts zu verbergen…
Schnell stellte sich heraus, dass sie nebenbei auch noch die Legatin
der Wildermark für die Drakoniter war. Darüber hinaus
hatte sie eine kleine Viper dabei, die sich in ihrer Kleidung
versteckte. Sie gab sich nicht viel Mühe zu verbergen, dass
sie eine Hexe der Schwesternschaft des Wissens war. Ich musste mich
zurückhalten um keinen Diskurs über das Spezialgebiet
dieser Schwesternschaft, nämlich Antimagie und
Beschwörung, zu beginnen.
Wir führten sie durch die Stadt, erklärten unser
aktuelles Rechts- und Abgabensystem und den Kirchenzehnten und stellten
ihr unsere Geweihten und den frisch geweihten Boronanger vor.
Unterwegs durch die Stadt blieb sie plötzlich wie angenagelt
stehen und stürmte auf einen etwas schäbig
aussehenden Mann zu, der gerade harmlos die Stadt schlurfte.
„Irion? Du hier?“
Der Mann sah auf, erstarrte kurz und rannte dann davon.
Natürlich rannten wir alle hinterher. Einfach, weil er
wegrannte! Er wischte mit der Hand durch die Luft und im Weg stehende
Passanten flogen zur Seite. Ich stutzte. Eine Art Hieb des Magus? Eine
Motoricus-Variante? Aber wie zauberte er so beiläufig, mitten
im Rennen?
Auf unser Rufen stellten sich Männer der Stadtwache am
Stadttor in seinen Weg, wurden aber wie Stoffpuppen zur Seite
gewirbelt. Während wir langsam außer Atem kamen,
sprintete Irion unvermindert weiter und gewann immer weiter Vorsprung.
Im Rennen tippte ich Murthak an und wirkte einen Axxeleratus auf ihn.
Der schoss vorwärts und holte den Fliehenden fast ein, bevor
er mit einer beiläufigen Bewegung durch die Luft geschleudert
wurde und gegen einen Baum knallte. Ich bremste langsam ab und sah nach
ihm. Er war nicht schwer verwundet, meinte aber, es hätte sich
wie die Ohrfeige eines Riesen angefühlt. Oder als ob ihn ein
Mammut getreten hätte. Ich sah mich um. Raun war
zurückgeblieben, Niam war verschwunden und Rodrigo war schon
in der Stadt falsch abgebogen. Ein Gardianum würde gegen den
telekinetischen Hieb nicht wirken, so dass ich keine
Möglichkeit hatte mich zu schützen. Mir wurde mal
wieder klar, wieso ein Gardianium der gegen alle magischen Merkmale
wirkte zu den ersten Zaubern gehörte, die von den meisten
großen Magiern entwickelt wurden. Entwürfe dazu gab
es an jeder Magierakademie, aber diese Zauber waren ein so komplexer
Wirrwarr an Strukturen, dass man schon einen Erzmagier brauchte um sie
zu wirken, geschweige denn in eine lehrbare Form niederzulegen.
Ich brach die Verfolgung ab und kehrte in die Stadt zurück.
Die Drakoniterin war sehr aufgewühlt als wir zu ihr
zurückkamen. Der Mann den sie erkannt hatte war Irion Lunamor,
der frühere Abt des Drakoniterhortes von Rommylis. Nach der
Brandschatzung der Stadt im Jahr des Feuers floh er in die Schwarze
Sichel, wo sich seine Spur verloren hatte. Man hatte ihn seit
fünf Jahren für tot gehalten. Seine
Fähigkeiten konnte sie sich jedoch auch erst einmal nicht
erklären.
Erst als Niam zurückkehrte, konnten wir uns aus ihrem Bericht
zusammenreimen was passiert war. Sie hatte ihn magisch getarnt verfolgt
und sich darüber gewundert, dass er einfach nicht
müde wurde. Nach Anbruch der Nacht rannte er weiter, ohne
durch die Dunkelheit behindert zu werden. Als er sich kurz umsah,
bemerkte Niam etwas Silbernes an seiner Stirn und einen rot leuchtenden
Punkt.
Purothea vermutete, dass es sich um den Stirnreif der Telekinese
handelte. Ein mächtiges Artefakt, das beim Brand des Hortes
verschollen ging. Der Stirnreif zog seine Kraft von dem
erbsengroßen Karfunkel des Höhlendrachen Irfandor.
Der Drache war vor 150 Jahren eine Landplage für die Umgebung
geworden und wurde durch ein Aufgebot der Landwehr und einen Magier
besiegt.
Ich stöhnte. Natürlich. Irgendein Artefaktmagier
hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass er die Seele eines Drachen
bezwingen und seine Macht kanalisieren konnte. Und mich nennen sie
Größenwahnsinnig? Das rote Leuchten war ein Zeichen,
dass die Drachenseele aus dem Karfunkelschlaf erwacht war! Sicher hatte
er den Träger übernommen. Was suchte er nun hier?
Seinen Hort oder einen neuen Körper?
Wir würden in jedem Fall nach ihm suchen. Ein frei
herumstreunender Drache war immer eine Gefahr!
Die Drakoniterin bat uns ihn möglichst unbeschadet
auszuschalten. Zum Glück hatten wir noch
Schlafgift… offiziell aus dem Vorrat des bösen
Nekromanten, denn gute Abenteurer schleppen ja kein Gift mit sich
herum.
Am nächsten Morgen führte uns Niam ihren Markierungen
nach durch den Wald, bis zu der Stelle, an der sie die Verfolgung wegen
der Dunkelheit abbrechen musste. Nach zwei Stunden stießen
wir auf ein Nachtlager, das mehr einem Nest glich. Seinen Umhang hatte
er dort zurückgelassen.
Danach wurde das Gelände hügeliger und felsiger. Die
Spur schwerer zu verfolgen. Wir schafften es trotzdem und kamen zu
einer Lichtung mit einer Höhle. Auf der Lichtung waren noch
uralte Kampfspuren zu entdecken. Stümpfe verbrannter
Bäume. Geschwärzte Felsen. Und im Unterholz die
Knochen eines Höhlendrachen. Der Schädel war mit
einer Axt aufgebrochen worden um den Karfunkel zu entnehmen, ansonsten
waren das Skelett gut erhalten. Nur wenige Knochen wiesen Schnitte und
Schrammen auf. Zeit und Witterung konnten Drachenknochen wenig anhaben.
Niam warf mir böse Blicke zu, aber natürlich
würde ich keine Untoten erheben, während die
Drakoniterin direkt danebenstand. Wofür hielt sie mich?